Sagen2
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Lohengrin

Über dem Lande Brabant, wo der Scheldestrom sich mit dem Rhein ins weite Nordmeer ergießt, lastete tiefe Trauer, denn Herzog Gottfried, der weise und gerechte Herrscher, lag im Sterben. Viele Jahre hatte er das Herzogtum am Niederrhein regiert. Der Kaiser wußte, daß er nicht allen seiner Vasallen so unbeschränkt vertrauen konnte wie ihm, wenn er mit wehendem Banner gegen die Feinde des Reiches zog. Herzog Gottfried wiederum hatte waffenstarke Vasallen in seinem Dienst, die seine milde und weise Regierung stützten; unter ihnen galt sein besonderes Vertrauen dem Grafen Friedrich von Telramund.

Nun forderte das Alter seinen Tribut, die Strapazen der langen Kriegszüge hatten dem Helden die Lebenskraft erschöpft. Herzog Gottfried wußte um seinen nahen Tod.

In seinem Schmerz, aus dem Leben scheiden zu müssen, blickte er zugleich mit banger Zukunftssorge auf seine Tochter Elsa, die an seinem letzten Lager kniete.

"Elsa, liebe Tochter", stieß er mit schwindender Kraft hervor, "der Himmel hat mir einen männlichen Erben versagt, denn deine Mutter verschied bei deiner Geburt. Aber ich weiß, daß du stark und tapfer bist, und ich weiß dich im Schutz treuer Vasallen. Ruf darum Graf Telramund zu mir!"

Der Todgeweihte erhob sich mit letzter Kraft von seinem Lager und bestand darauf, daß man ihm zur Besprechung mit dem Lehnsmann die herzogliche Rüstung anlegte. So saß er an der Seite seiner jugendschönen Tochter auf dem Throne, als Graf Telramund ergeben sein Knie vor ihm beugte.

"Tretet näher, Graf Friedrich" sagte der Herzog, und hoffnungsvoll ruhte sein Auge auf dem starken Vasallen. "In den heftigsten Schlachten habt Ihr mir treu gedient", fuhr er fort, "und in der Lenkung meines brabantischen Kronlandes konnte ich mich auf keinen Ratgeber verlassen wie auf Euch. Jetzt schlägt für mich die Stunde des Abschieds . . ."

Telramund hob den Arm. "So dürft Ihr nicht sprechen, gnädiger Herr Herzog. Noch viele Jahre . . .''

Herzog Gottfried war in diesen Augenblicken wie in der Vollkraft seiner Mannesjahre. "Laßt solche Einwände, Graf Friedrich. Wir Menschen kennen das unabwendbare Gesetz des Todes, wir wissen von der Spanne Zeit, die Gott uns gesetzt hat. Der Tod wäre für mich ohne Schrecken, wenn mich nicht die Sorge um meine Elsa erfüllte, die ich ohne väterlichen Schutz zurücklasse . . ."

"Erlaubt mir wiederum Einwand und Widerspruch, Herr Herzog. Eure Tochter ist nicht ohne Schutz. Wenn Ihr mit Recht meine Hilfe in Rat und Tat gelobt habt, so seht darin meine Treue zu Euch. Und brauche ich Euch zu versichern, daß diese Treue unwandelbar von Bestand ist, auch wenn . . ."

Herzog Gottfried blickte ihn an: "Fahret fort", befahl er.

". . . unwandelbar von Bestand ist, auch wenn das Schicksal Euch von dieser Erde abberufen würde! Meine Treue gilt auch dem, der nach Euch Euren Thron besteigen wird!"

Aufatmend blickte der alte Herzog seinen Vasallen an. "Solche Worte sind Labsal für einen Sterbenden", sagte er leise; "ich habe Euer Wort, Telramund. Laßt mich jetzt allein."

Mit tiefer Verneigung schied der Graf von seinem Herrn. Als die Tür sich hinter ihm schloß, sank der Herzog in sich zusammen. Behutsam führten die Diener ihn auf sein Lager. Die Augen voll Tränen, beugte Elsa sich über den Sterbenden. "Du darfst nicht von mir gehen, geliebter Vater", rief sie aufschluchzend und bedeckte des Vaters Wangen mit Tränen.

Mit inniger Rührung blickte er auf Elsa. "Weine nicht, mein liebes Kind", sagte er milde; "gegen den Tod sind wir Menschen ohne Macht, und für mich hat er seine Schrecken verloren, seit mich die drückende Sorge verlassen hat. Diese Sorge galt dir, Tochter . . ."

Sie wollte ihn unterbrechen, doch der Vater winkte ab. Zärtlich glitten seine welken Hände ihr über das blonde Haar; mit brechender Stimme fuhr er fort: "Graf Telramund wird seinen Schwur halten und dir als Herzogin ein treuer Beschützer und Berater sein, so wie er bisher die Stütze meines Thrones war. Ich weiß, er ist aufbrausend und von anmaßendem Stolz, aber nie wird er in seiner Treue zu dir wankend werden."

Herzog Gottfried sprach mit letzter Lebenskraft. "Gerätst du je in ernstliche Bedrängnis, so wende dich vertrauensvoll an Kaiser Heinrich. Er steht als weiser und starker Herrscher über uns allen, er weiß meine Dienste und Taten zu würdigen, und er wird als gerechter Richter sein Urteil sprechen . .''

Als Elsa den gebeugten Kopf hob, blickte sie in zwei gebrochene Augen. Herzog Gottfried hatte ausgelitten.

Mit hohen Ehren trugen die Getreuen den geliebten Herrn zu Grabe. Eilboten trugen die Nachricht an den Kaiserhof, und ebenso schnell kam die Antwort des Kaisers, in der er Gottfrieds Tochter Elsa als Herzogin von Brabant bestätigte.

Im Thronsaal des Schlosses hatte die neue Herrin die Vasallen ihres Vaters um sich versammelt, um sie in neuen Lehnseid zu nehmen. Mancher von ihnen mochte wohl wünschen, an ihrer Seite als ihr Gemahl zu stehen.

"Beugt Euer Knie und schwöret mir Vasallentreue, so wie Ihr meinem Vater gedient habt", gebot Elsa den Erschienenen.

Gehorsam knieten die Gefolgsleute vor den Stufen des Herzogsthrones und hoben die Hand zum Schwur: "Heil Herzogin Elsa, der Herrin von Brabant!"

Doch mit finsterem, undurchdringlichem Blick, gestützt auf sein mächtiges Schwert, stand Graf Friedrich von Telramund aufrecht; er sprach nicht das Treuegelöbnis, das Elsa als Herzogin rechtmäßig verlangte, und er zeigte sich nicht bereit, ihr zu huldigen.

Die junge Herzogin zwang sich zur Festigkeit.

"Ihr wißt, was Euer Treuegelöbnis von Euch verlangt, Graf Telramund", rief sie.

"Mir ist nicht bekannt, wovon Ihr sprecht, Frau Elsa. Doch Ihr wißt, was Euer Vater als seinen letzten Wunsch ausgesprochen hat: daß ich als Euer Gemahl an Eure Seite trete und als Herzog von Brabant den Thron Eures Vaters besteige!"

Elsa erbleichte. "Wie könnt Ihr solche anmaßenden Worte, wie könnt Ihr solche abscheuliche Lüge wagen?"

Ungerührt blickte der Telramund sie an: "Wenn Ihr wahrhaftig seid, Frau Elsa, so müßt Ihr eingestehen, wer hier lügnerische Worte spricht. . ."

Elsa stand fassungslos. "Mein Vater hat Euch stets für einen ehrlichen Vasallen gehalten, Graf Friedrich", sagte sie leise; "Schande über den Lehnsmann, der die Schwäche seiner Herrin auszunutzen sucht." Damit wandte sie sich zum Gehen.

"Ich werde mein Recht zu erzwingen wissen", rief der Telramund ihr nach.

Allein in ihrer Kemenate, suchte Elsa Trost in der Erinnerung an ihren Vater. Wenn du in Bedrängnis bist, so wende dich an den Kaiser Heinrich, hatte der Vater gesagt. So schnell also würde sie des Vaters Rat befolgen müssen!

Selbstsicher zeigte sich die Herzogstochter im Kreise ihrer Vasallen, und nur wenige wußten von den schweren Qualen des Zweifels, die ihr Herz erfüllten. In unendlich vielen Gefechten hatte Graf Telramund sich als tapferer Kämpe unter dem Banner des Herzogs Gottfried - bewährt, und Kaiser Heinrich wußte die Leistung dieses starken Recken wohl zu schätzen. Sollte er nicht auch der eidlichen Versicherung des berühmten Vasallen Glauben schenken - und damit Elsas Forderung ohne Wohlwollen gegenüberstehen? Und zum andern: Welcher Ritter würde es wagen, als Widersacher gegen den ausgezeichneten Telramund anzutreten?

Bittere Sorgen, drückende Zweifel erfüllten Elsas Herz. Welch schweres Erbe hatte der Vater ihr hinterlassen! Wie dringlich vermißte sie jetzt seine hilfreiche Fürsorge! Mit gefalteten Händen saß sie im Garten der Burg, der den Blick in die Ferne freigab, und sandte ihre Gebete zum Himmel. Würde Gott sie in ihrer Not im Stiche lassen?

Ihr Blick blieb an einem Pünktchen im Himmelsblau haften, das größer und größer wurde, es wuchs im Näherkommen - und nun sauste vom hohen Äther ein Falke auf sie zu, ein Jagdfalke, der ein feines Silberglöckchen um den Hals trug. Zutraulich ließ das Tier sich auf Elsas Schoß nieder.

Sie fuhr ihm mit der Hand zärtlich über das weiche Gefieder: "Willst du mir Trost zusprechen in meiner Bedrängnis und in meinem Herzenszweifel, oder kommst du gar als Bote eines ritterlichen Mannes, der sich meiner Not annehmen und für meine Ehre eintreten will?"

In tiefem Sinnen ging ihr Blick in die Zukunft. Sie sah vor sich den Kaiser, wie er unter der tausendjährigen Linde zu Gericht saß, sie sah seinen Blick voll Wohlwollen auf den grimmen Telramund gerichtet, der mit abweisender Miene auf seinem Anspruch bestand, sie hörte den Kaiser das Gottesgericht ausrufen, sie sah einen Ritter, der in silberglänzender Rüstung herantrat und das Knie in Ehrfurcht vor dem Kaiser und dann vor ihr beugte. "Ich bin bereit, für Elsa von Brabant in die Schranken zu treten", sagte er fest. . .

Die Herzogstochter, die einsam auf der Steinbank im Burggarten saß, fuhr auf. Es war nur ein Traum gewesen, den die Hoffnung ihr eingegeben hatte. Wo sollte sich wohl ein Ritter finden, der bereit und stark genug wäre, dem grimmigen Telramund den Anspruch streitig zu machen?

Der Termin des kaiserlichen Hoftages war gekommen. Von der Rheinstadt Köln her war Kaiser Heinrich, den man den Vogler nennt, den Strom hinaufgefahren, und nun wehten am Ufer des Scheldestromes die bunten Kaiserwimpel und Fahnen, und vor dem Seidenzelt inmitten des riesigen Heerlagers flatterte das Kaiserbanner in dem Winde, der von der Nordsee herüberwehte. Von überall waren die Edlen herbeigeeilt, das festliche Ereignis mitzuerleben.

Der Herold trat vor die Schranken und ließ die Posaunen ertönen. "Im Namen des Kaisers, unseres Kaisers Heinrich", rief er schallend, "gebiete ich Stille für den Gerichtstag. Wer eine Forderung vorzubringen hat, trete vor!"

Er sah fragend auf Elsa von Brabant, die an des Kaisers Seite saß, und alle folgten seinem Blick und sahen mit Bewunderung auf die jugendschöne blonde Herzogstochter, deren Wangen sich in der erregenden Spannung lieblich gerötet hatten. Doch ehe sie das Wort zu ihrer Anklage ergreifen konnte, erhob sich Graf Telramund und trat mit seiner trügerischen Forderung vor des Herrschers Thron.

"Ich heische Recht", klang seine Stimme über die Menge hin, "und erhebe Klage gegen Elsa, die sich Herzogin von Brabant nennt; ihr Vater, der Herzog Gottfried, hat sie mir vor seinem Tode als eheliche Gemahlin zugesagt."

"Und die Herzogin?" wandte Kaiser Heinrich sich an Elsa. Doch bevor sie antworten konnte, hatte der Graf wieder das Wort an sich gerissen. "Widerrechtlich verweigert sie mir die Ehe", gab er finster zurück. "Sie will in mir nicht mehr als den dienstpflichtigen Vasallen sehen!"

"An dem Worte, das ein hundertfach bewährter Ritter beschworen hat, kann der Kaiser nicht Zweifel hegen", erklärte Heinrich hoheitsvoll. "Doch die Gerechtigkeit gebietet, daß ich auch die Beschuldigte anhöre."

Elsa nahm alle Kraft zusammen, ihre Sache mit Überzeugungskraft zu vertreten. "Ich begehre nichts als mein Recht" sagte sie. "Was ich ausspreche, ist die Wahrheit."

Betroffen blickte der Kaiser auf die reine Schönheit, die aus ihren Zügen sprach. Er konnte nicht glauben, daß Graf Telramund, bewährt in so viel Ritterkämpfen, falsches Zeugnis ablege, aber ebenso war er überzeugt, daß eine Herzogstochter wie die schöne Elsa die lautere Wahrheit aussage.

Wie sollte er als Kaiserliche Majestät hier gerechtes Urteil finden? Telramund scheute sich nicht, den Himmel zum Zeugen anzurufen, als er, der Herzogstochter gegenübergestellt, seine Forderung wiederholte.

Auch Elsa blieb bei ihrer Aussage: "Niemals hat mein seliger Vater, der nun in Gottes Frieden ruht, dem Grafen solche Zusage gegeben!"

"Hier versagt Menschenweisheit. Keiner wird sich bei solcher gleichen Aussage anmaßen dürfen, Richteramt zu üben. Jetzt muß ein Gottesurteil entscheiden", erklärte der Kaiser.

Damit wandte er sich an den Grafen: "Seid Ihr einverstanden, Graf Telramund?"

Die Eisenfaust auf den Schwertknauf gestützt, reckte der Gefragte sich siegessicher: "Ich bin einverstanden!"

Da wandte sich der Kaiser an die Herzogin: ,"Und Ihr, Elsa von Brabant" ich frage Euch, seid auch Ihr damit einverstanden, daß ein Gottesgericht die Entscheidung fällt?"

Elsas Stimme hatte nicht die selbstbewußte Kraft des herausfordernden Telramund, aber sie zwang sich zur Festigkeit: "Ich stimme dem Gottesurteil zu!"

Der Herold trat in die Schranken und ließ wieder die Posaunen ertönen:

"Die Entscheidung in dem Rechtsstreit des Grafen Telramund gegen Elsa von Brabant obliegt einem Gottesgericht!" rief er. Und dann trat er wieder vor die Herzogin: "So nennt mir, edle Fraue, den Streiter, der Eure Sache vertritt."

Tiefes Rot zog jäh über Elsas Wangen. Wen sollte sie als Verfechter ihres Anspruchs namhaft machen? Wer würde es wagen, gegen Telramund, den kampfbewährten Recken, in die Schranken zu treten?

"So stellen wir öffentlich die Anfrage", gebot der Kaiser. Da nahm der Herold seine Trompete, setzte sie an den Mund und blies sein Ankündigungszeichen in alle vier Himmelsrichtungen. "In des Kaisers Namen gebiete ich wiederum Schweigen!" rief er. Und mit weithin schallender Stimme berichtete er den versammelten Edlen von dem Rechtsstreit zwischen Elsa von Brabant, der Herzogstochter, und Friedrich Graf von Telramund. "Ist jemand bereit, die Sache der Herzogin zu verfechten, der trete vor den Kaiser!"

Gespannt blickte der Herrscher über die Menge der erschienenen Ritter hin, mit gesenktem Kopf saß Elsa und wagte nicht, die Augen aufzuheben. Wie sehr entbehrte sie in diesem Augenblick die gütige Zusprache des Vaters! Im Kreise der Ritter blieb es still. Niemand regte sich.

Wieder erklang des Herolds Trompetensignal. "Ich wiederhole die Anfrage", rief er, für jeden vernehmbar. Doch wieder war sein Rufen vergeblich.

Zum dritten Male setzte der Mann seine Trompete an und blies in alle vier Winde, nach Osten und Westen, nach Norden und Süden. "Zum dritten Male frage ich an, wer bereit ist zum freiwilligen Kampfe für Elsa von Brabant. . .''

Sollte sich das Gottesgericht so schmählich gegen die Herzogstochter und rechtmäßige Herzogin entscheiden?

Da - plötzlich ging eine Bewegung durch die Reihen der Zuschauer, ein Raunen erst und dann erregtes Rufen: "Da, da!'' Alle Blicke wandten sich zum Strome hin. Und siehe: Auf der Schelde nahte ein Kahn, in dem stand aufrecht ein Ritter in schimmernder Waffenrüstung. Und - o Wunder: Nicht Segel oder Ruder trieben das Fahrzeug - es wurde an silbernen Kettchen gezogen von einem silberglänzenden Schwan.

"Ein Wunder - ein Wunder!'' ging es durch die versammelte Menge, die sich ungläubig und staunend um die unerhörte Erscheinung drängte. Was wollte dieser herrliche Ritter auf dem Hoftag des Kaisers?

Leichtfüßig sprang der Fremde ans Ufer. "Nun sei bedankt, du lieber Schwan'', sagte er mit ritterlicher Gebärde. "Kehr jetzt heim in deine himmlischen Gefilde." Gehorsam wandte sich das Tier zur Umkehr und schwamm den Strom hinab, wo er ins weite Meer einmündet.

Der Ankömmling schritt in selbstbewußter Haltung durch den Kreis der Ritter auf den Thronsessel zu, beugte vor dem Kaiser das Knie und verneigte sich dann ehrfurchtsvoll vor Elsa, der Herzogin von Brabant. "Verstattet mir, edle Frau, Eure Sache zu verteidigen. Ich bin gekommen, Euch zu Eurem Recht zu verhelfen."

Mit tiefem Erröten nickte Elsa dem Fremden ihre Zustimmung zu. "Ich danke Euch" Herr Ritter", sagte sie kaum vernehmbar, "und ich vertraue mich Euch an in dem Gottesgericht, das über mein Schicksal entscheiden soll."

Elsa atmete tief auf. So hatte ihr Träumen sie also nicht getäuscht!

Auch der Kaiser gab sein Einverständnis. "So nennt nach Ritterbrauch Euren Namen", sagte er zu dem Recken, der gegen den gefürchteten Grafen für Elsas Frauenehre in die Schranken zu treten bereit war.

"Ich bin Lohengrin", gab der stattliche Mann zurück und verneigte sich mit ritterlichem Anstand. "Vernehmet aber, ihr schönen Damen und ihr hochgeborenen Herren ringsum, was ich euch sagen muß: Über meine Herkunft darf ich nichts kundtun; ich habe die Gebote meines Ordens beschworen, und diese binden mich zu strenger Verschwiegenheit."

Des Kaisers Blick ruhte wohlwollend auf dem Fremden, der den riesenstarken Telramund im Kampf bestehen wollte. "Niemand wird an Eurem Rittertum zweifeln", sagte er ruhig. Dann wandte er sich an den Herold. "Lasset sogleich die Schranken vermessen! Der Kampf soll beginnen!"

Die Menge der Ritter und Damen drängte sich eilfertig zu dem erregenden Waffengang, aus dem nun das Gottesurteil sprechen sollte. Nur mit Mühe wußte Elsa die Fassung zu wahren, als die beiden Kämpfer einander gegenübertraten. Düsteren Haß und Verachtung in seinem Blick, so stand der Brabanter Ritter, in strahlender Jugendkraft Lohengrin, der geheimnisvolle Fremde; als Helmzier trug er einen silberglänzenden Schwan.

Auf des Herolds Zeichen drangen die beiden aufeinander ein. Ungeheuer war die Kraft, mit der Telramund sein Schwert niedersausen ließ, und er war es nicht gewohnt, daß ein Gegner seinen Streichen widerstand. Doch der Schwanenritter erwies sich als Meister behender, gewandter Schwertkunst. Der ungefüge Schlag des Brabanters glitt an seiner Klinge kraftlos ab, und im selben Augenblick traf Lohengrins Waffe mit voller Kraft den Panzer des Gegners, daß der riesenstarke Telramund wankte. Ein Raunen der Bewunderung ging durch die erregte Menge. Bisher hatte noch niemand Graf Telramund im Kampfe straucheln sehen. Des Kaisers Blick glitt zu Elsa hinüber, die neben ihm mit blassem Gesicht den Kampf verfolgte. Wie herrlich vertrat der fremde Ritter die Sache ihrer Ehre!

Der Brabanter Graf setzte zu neuem Schlag an, sein Gegner erwehrte sich leicht und schlug zurück. Hieb und Gegenhieb wechselten in hastiger Folge - da traf Lohengrin den Widersacher so furchtbar am Halsschutz, daß Graf Telramund in die Knie sank. Für den Schwanenritter war es ein leichtes, nun den Todesstreich folgen zu lassen.

Doch da zeigte er, daß er nicht nur ein Meister im ritterlichen Schwertkampf, sondern auch ein auserwählter Edeling von ritterlicher Gesinnung war. Ihn verlangte nicht nach dem Tode des Gegners. Er wollte nur dessen Widerstand brechen, und so begnügte er sich mit einem Hieb seiner flachen Klinge, der Telramund in den Sand streckte. Blitzschnell entriß Lohengrin ihm die Waffe, setzte dem Wehrlosen das Knie auf den Brustpanzer und forderte ihn auf, sich zu ergeben.

Zähneknirschend gehorchte Graf Telramund dem Befehl des Siegers - und sprach damit zugleich das Urteil des anberaumten Gottesgerichts: Es hatte gegen den Grafen Friedrich von Telramund entschieden, es hatte sein Wort als Lüge entlarvt!

"Heil dem Ritter Lohengrin!" erscholl es ringsum. "Heil Elsa, unserer Herzogin!" erhoben sich die Stimmen zu aufbrandendem Chor.

Der Schwanenritter schritt durch die jubelnde Menge, verneigte sich nach Ritterart vor dem Kaiser und trat vor Elsa hin. "Herzogin", sagte er schlicht, "der Zweikampf, der um Eure Ehre ging, ist beendet. Graf Telramund wird Euch kein Schmähwort mehr sagen. Euer Erbe ist frei."

Über die Wangen der schönen Elsa glitt flammendes Rot. "Ihr habt mir die Ehre zurückgegeben" Ritter Lohengrin", sagte sie, "wie soll ich Euch meinen Dank bezeigen?"

Als er antworten wollte, unterbrachen ihn die Zurufe der Menge. Sie galten dem besiegten Telramund; mit Schimpfworten überhäuft, mußte er sich davonstehlen.

"Einen Beweis Eures Dankes" Frau Herzogin?" nahm Lohengrin die Worte Elsas auf. "So gewährt mir die Bitte, die mich hergeführt hat, weil ich von Eurer liebenswerten Schönheit reden hörte: Erlaubet mir, daß ich um Eure Hand bitte, Herzogin Elsa, daß ich Euch bitte, mit mir in ritterlicher Minne den Ehebund zu schließen."

Niemandem der Umstehenden war zweifelhaft, wie Elsas Antwort lauten würde. Kaiser Heinrich selber weihte den Liebesbund, als er die Hände der schönen Herzogin und des edlen Ritters zusammenfügte. Mit unendlichem Jubel umringten die Ritter und Damen das schöne Paar.

In Anwesenheit des Kaisers wurde die Hochzeit gefeiert. Bevor Lohengrin seine schöne Frau heimführte, erinnerte er sie an das Gelöbnis, an das er gebunden sei durch das Gebot seines Ritterordens. "Niemals darfst du mich nach meiner Herkunft fragen, Elsa", sagte er mahnend, "niemals. Brichst du dieses Gelöbnis, so bin ich dir auf immer verloren!"

Auf des Kaisers Geheiß war Telramund in die Acht des Reiches getan und des Landes verwiesen; sein gräfliches Wappenschild wurde zerbrochen, sein Adelsname getilgt.

In echtem Eheglück aber lebte das schöne Paar, für jeden ein Vorbild ritterlicher Minne, im Herzogspalast, der "Schwanenburg" von Brabant. Die Landschaft am Unterlauf des Rheines blühte auf unter der weisen und gerechten Herrschaft des Herzogspaares, das gemeinsam den Thron innehatte. Kaum einem seiner fürstlichen Lehnsleute vertraute der Kaiser wie Lohengrin, dem starken Schwanenritter, denn sein Schwertarm war der zuverlässigste Schutz jener Landschaft an der Grenze des Reiches. Das Glück der beiden wurde vollständig durch die beiden Kinder, die ihrer Liebe erwuchsen.

Wenn Lohengrin als Gefolgsmann des Kaisers auf Heerfahrt mit auszog, flog der geheimnisvolle Schwan den Kämpfern voraus und führte sie zum glänzenden Sieg.

Einst hatte Kaiser Heinrich, vom Feldzug gegen die Sarazenen heimgekehrt, sein Hoflager am Mittelrhein aufgeschlagen. Glänzende Festtage und ritterliche Waffenspiele feierten den Sieg über die "Ungläubigen", an dem Herzog Lohengrin ganz entscheidenden Anteil hatte. Elsa war mit den Kindern erschienen, um den geliebten Gemahl zu begrüßen.

Beim ritterlichen Turnier war wieder das Lob des Schwanenritters in aller Munde. Niemand konnte der ungestümen Gewalt seines Schwertes und der behenden Kraft seiner Kampfesweise widerstehen. Wie liebliche Musik klang alles Lob, das Lohengrin galt, in Elsas Ohren.

Doch da mischte sich in den jubelnden Beifall der Zuschauer eine Stimme, die sie wie giftiger Schlangenbiß traf: ,"Wie kann man denn einen Ritter mit Lob und Preis erheben, wenn man nicht einmal seine Herkunft weiß? Jeder hochgeborene Mann nennt mit Stolz seines Vaters Namen. Nur wer von dunkler Abstammung ist, verheimlicht sie!"

Elsa blickte sich um und erkannte eine Ritterdame, die einst zum Freundeskreis des Grafen Telramund gehört hatte.

"Und wer etwas zu verheimlichen hat, von dem darf man Böses argwöhnen", fuhr die giftige Stimme fort. "Sollte der geheimnisvolle Lohengrin, der sich zu unserm Herzog gemacht hat, etwa mit dem Teufel verbündet sein?"

Soeben klang Jubel über den Festplatz hin, denn wieder hatte der unüberwindliche Lohengrin seinen Turniergegner in den Sand gesetzt. Doch Elsa konnte sich nicht dagegen wehren, daß ihre Augen von Tränen schimmerten, als der Gemahl ihr in strahlender Freude entgegentrat.

In seiner Siegesstimmung erkannte er nicht den Grund für ihren Kummer, doch die kränkenden Worte hafteten wie ein giftiger Pfeil in Elsas Seele. Sie bohrten tiefer und tiefer und streuten Zweifel über Zweifel, sie raubten ihr die Herzensruhe und verdunkelten allen Sonnenschein, der dem Eheglück der beiden gestrahlt hatte.

Schließlich wußte sich Elsa in ihrem zermürbenden Zweifel keinen Ausweg mehr. "Geliebter Mann", begann sie zaghaft, "müssen Menschen, die sich Liebe gelobt haben, nicht gegenseitiges Vertrauen zeigen?"

Lohengrin wußte sofort, wohin ihre Frage zielte, und blickte sie warnend an: "Diese Frage muß ich an dich richten, Elsa!"

Doch sie wollte seinen warnenden Vorwurf nicht verstehen. "Sind wir es nicht unsern Kindern schuldig, daß sie die Herkunft ihrer Eltern kennen?"

Lohengrin fuhr auf. "Elsa", rief er beschwörend, "du spielst mit unserm Eheglück! Elsa, halt ein!"

Aber ihr Wort war nicht mehr zurückzuhalten. "Wenn du mich ehrlich liebst, so sag mir, Lohengrin, welcher Herkunft du bist. . ."

Totenbleich blickte er auf die Frau, die er so liebte. ,"Elsa, nun ist es um unser Eheglück geschehen. Das verhängnisvolle Wort ist gesprochen. Sieh dort hinüber!"

Sie blickte in die Richtung zum Strom, wohin sein ausgestreckter Arm zeigte. Ruhig und gemessen näherte sich von dorther der Schwan, den sie kannte, mit dem Boot, das ihr einst den Geliebten zugeführt hatte.

"Der Schwan", stieß sie tonlos hervor und brach zusammen.

"Ja, der Schwan", wiederholte Lohengrin düster; "meines Bleibens ist nicht länger." Liebevoll hob er die Frau empor.

"Bevor ich scheide", sagte Lohengrin mit fester Stimme, "sollst du erfahren, was zu wissen dich drängte: du sollst meine Abkunft kennen."

"So höret", wandte er sich mit fester Stimme an die Ritter und die Menge der edlen Damen, die ihn - auch Kaiser Heinrich war hinzugetreten - umringten, "höret, aus welchem Geschlecht ich stamme. Vernimm es du, geliebte Elsa: Mein Vater ist Parzival, der Hüter des Heiligen Grals und der Hochmeister des Templeisen-Ordens. Diesem Orden gehöre auch ich an. Nach unserer Ordensregel haben wir die Aufgabe" edlen Menschen in ihrer Bedrängnis beizustehen, so wie ich für Elsa eingetreten bin. Wenn jetzt meines Bleibens nicht länger ist, so bitte ich Euch, Herr Kaiser: nehmt Euch meines geliebten Weibes und meiner vaterlosen Kinder an . . .''

"Ihr habt mein sicheres Versprechen", rief Kaiser Heinrich. Vom Ufer her erklang der Ruf des Schwans. "Ich komme" sagte Lohengrin. In inniger Liebe umarmte er die untröstliche Elsa und seine Kinder, grüßte in ritterlicher Art den Kaiser samt den Edlen, die im Kreise standen, und sprang in den Kahn. Das geheimnisvolle Tier steuerte mit seiner Last schnell auf die Mitte des Stromes zu und entführte den herrlichen Ritter. Niemandem war es beschieden, ihn jemals wiederzusehen.

Elsa, die mit der verbotenen Frage ihr strahlendes Eheglück jäh zerstört hatte, wußte, was nun ihre Aufgabe war. Im Sinne des herrlichen Ehegatten führte sie die Regierung des Landes Brabant und erzog ihre Kinder nach dem Vorbild des Vaters. Von diesen entstammen viele adlige Geschlechter, die den Rhein hinauf und hinab mit hohem Ritterruhm gelebt haben.

 

 

 

 

 

 

Wieland der Schmied

In Seeland am Ostmeer lebte einstmals der Riese Wate, der aus königlichem Geschlecht stammt, seine Mutter Waghilde aber war eine Meerfrau. Wate besaß drei starke Söhne. Die beiden älteren, Slagfider und Egil, wurden Krieger; Wieland, den jüngsten, aber tat der Vater in die Handwerkslehre, damit er ein tüchtiger Schmied werde. Mime, der berühmte Meister in Nordland, unterwies den geschickten Knaben drei Jahre, und nachdem Wieland lange bei kunstfertigen Zwergen gearbeitet hatte, galt er im Lande als ein unübertrefflicher Meister seines Handwerks.

Mit seinen beiden Brüdern zog Wieland in die Einsamkeit; sie hausten gemeinsam am Wolfsee in einem Tal, das ihnen bei Jagd und Fischfang alles Nötige zum Leben bot. Eines Tages gewahrten sie über dem See drei Schwäne, die sich herabsenkten. Als die Schwäne das Ufer des Sees erreicht hatten, warfen sie ihr Federkleid ab und standen da als drei wunderschöne Jungfrauen. Es waren Walküren.

In schnellem Entschluß schlichen die drei Brüder hinzu und nahmen die Schwanenhemden an sich. So hatten sie die Jungfrauen, die sich ohne Hemden nicht verwandeln konnten, in ihrer Gewalt; die Walküren mußten in Menschengestalt bei den Brüdern bleiben, und diese vermählten sich mit ihnen.

Sieben Jahre lebten die drei Paare in ungetrübtem Glück, und die Brüder ahnten nicht, wie sehr sich die Walküren nach ihrem früheren Leben zurücksehnten. Wielands Weib Herwör schenkte ihrem Gatten einen kostbaren Ring, der die Kraft haben sollte, ewige Liebe zu erhalten. Der kunstfertige Mann schmiedete nach diesem Muster andere und reihte sie alle auf eine Schnur.

Eines Tages aber, als die Brüder von der Jagd heimkehrten, war das Haus leer. Die drei Frauen hatten ihre Federhemden, die ihre Gatten vor ihnen versteckt gehalten hatten, gefunden und waren davongeflogen. Da zogen Wielands Brüder bekümmert in die Welt hinaus, um die verlorenen Geliebten zu suchen; Wieland aber blieb zurück, denn er vertraute auf die Kraft des Ringes.

Nidung, der König der Njaren, hörte von Wielands Kunstfertigkeit und sann darauf, ihn sich dienstbar zu machen und seinen Reichtum zu gewinnen. Heimlich ließ er Wieland in seinem einsamen Hause gefangennehmen.

Er raubte den Ring der Schwanenjungfrau samt den Kostbarkeiten und entführte Wieland in sein Reich.

Zornbebend fügte sich dieser der Gewalt.

"Hüte dich vor seiner Rache! Sieh nur, wie seine Augen glühen!," raunte die Königin ihrem Gatten zu. "Zerschneide ihm die Sehnen, damit er nicht entfliehen kann."

Da folgte König Nidung dem heimtückischen Rat seiner Frau und ließ den Unglücklichen auf eine nahe Insel bringen. Lange dauerte es, bis die schrecklichen Wunden heilten. "Nun wirst du deine Kunstfertigkeit zeigen", sagte der König, "und für mich alles schmieden, was in deinen Kräften steht."

Tagsüber stand der einst kraftvolle, nun verkrüppelte Mann am Amboß und mußte für den König arbeiten; doch im Schutze der Nacht schuf er ein Werk, das noch keinem Menschen gelungen war: ein Federkleid, das ihn befähigte, sich in die Luft zu erheben.

Eines Morgens kamen die beiden jungen Königssöhne, ohne daß es jemand wußte, auf Wielands Insel, um seine Werkstatt anzusehen. Nun fand der so schändlich Verstümmelte endlich die Gelegenheit zur Rache. Er erschlug die beiden Knaben und warf sie in die Grube unter der Esse. Mit den Schädeln aber vollbrachte er ein grausiges Werk. Er faßte sie in Silber und fertigte Trinkschalen daraus, die er König Nidung zum Geschenk machte.

Bald darauf geschah es, daß die Königstochter Bathild den Ring der Herwör, den sie als ihren schönsten Schmuck trug, aus Unachtsamkeit zerbrach. Niemand anders als Wieland konnte, wie sie wohl wußte, das Kleinod wiederherstellen, und so vertraute sie sich aus Furcht vor des Vaters Zorn dem kunstfertigen Schmiede an. Mit heuchlerischer Freundlichkeit empfing Wieland die schöne Bathild und beschwichtigte ihre Sorge. Dann betörte er die Königstochter mit einem Zaubertrank, daß sie zu heimlichem Ehebund mit ihm bereit war.

Damit sah Wieland seine Rache erfüllt. Während die verführte Königstochter weinend sein Haus verließ, schlüpfte er in sein Federkleid und flog auf König Nidungs Burg. Auf der höchsten Zinne ließ er sich nieder.

"Wie? Bist du ein Vogel geworden?'' rief Nidung aus, als er den Schmied mit Entsetzen dort oben gewahrte. Er ahnte jetzt, wer ihn seiner Söhne beraubt hatte.

Aber bevor Wieland ihm auf seine Frage die letzte Gewißheit gab, ließ er den König schwören: "Bei Schildes Rand und Rosses Bug, bei Schwertes Schärfe und Schiffes Bord sollst du mir geloben, daß nicht Wielands Weib noch seinem Kind ein Leid geschieht!''

König Nidung leistete den Eid, und nun ließ Wieland ihn das Schicksal seiner Söhne wissen. "Verstehst du nun, was es mit den silbernen Trinkbechern auf sich hat?" rief er mit Hohnlachen. "Da du einen Eid geschworen hast'', fügte er hinzu, "sollst du auch wissen, daß deine Tochter heimlich mein Weib geworden ist und dir einen Enkel schenken wird!"

Diese Nachricht dünkte den stolzen König die schwerste Schmach. In ohnmächtigem Zorne richtete er die Waffe auf den Schmied, der sich so grausam an ihm gerächt hatte; doch kein Pfeil erreichte den flügelbewehrten Wieland, der sich in die Lüfte hob und in den Wolken entschwand.

Das ist die Sage von Wieland dem Schmied. Sein Sohn, den die Königstochter gebar, wurde Witege genannt. Als Witege groß und stark geworden war, sandte ihn seine Mutter Bathild in die Ferne zu seinem Vater, der ihn freundlich aufnahm und in allen Fertigkeiten unterwies, deren ein Held bedurfte, um in Ehren zu bestehen.

In einer prächtigen Rüstung, die sein Vater ihm geschmiedet hatte, zog Witege in die Welt hinaus und wurde später Kampfgefährte des Helden Dietrich von Bern, dessen Tatenruhm schon damals die Lande erfüllte.

 

 

 

Die Schlacht vor Raben

Im Streite um das Vatererbe war Dietrich vor seinem Oheim Ermenrich aus dem Lande gewichen und hatte an König Etzels Hof gastfreie Aufnahme gefunden. "Ich werde dir einst helfen, dein Reich zurückzuerobern", versprach ihm der Hunnenkönig, und Dietrich dankte ihm die Gastfreundschaft, indem er Etzel auf seinen Kriegsfahrten begleitete und ihm im Kampfe tapfer zur Seite stand.

Als das Heer sich nun zum Rachezuge rüstete, um Dietrich die Herrschaft zurückzugewinnen, ließen Etzels zwei Söhne nicht ab zu bitten, man möge sie doch mitreiten lassen. Ihre Mutter wollte nicht zustimmen, denn sie hatte geträumt, ein Drache habe die beiden Jünglinge entführt und vor ihren Augen zerrissen. Da bat Dietrich, die unerfahrenen Knaben seiner Hut anzuvertrauen: "Ich werde treu auf eure beiden Söhne achtgeben", versprach Dietrich den Eltern. So gab Etzel nach, weil auch Königin Helche Dietrichs Worten vertraute, und ließ sie ziehen.

Als der heimkehrende Dietrich die Grenzen seines Landes überschritt, zeigte es sich, daß die Heimat ihn nicht vergessen hatte. Seine Königsstadt Bern öffnete ihm willig die Tore, und viele Getreue scharten sich um ihn. Man rüstete sich zum Kampfe gegen Ermenrich, der sich bei der Stadt Raben mit seinem Heere zur Entscheidung stellte.

Etzels Söhne, Ort und Scharf, dazu seinen jungen Bruder Dieter hatte Dietrich dem kühnen Elsan anvertraut. Mit seinem Leben mußte dieser dafür bürgen, sie nicht vor die Stadt ziehen zu lassen. Doch heimlich übertraten die kühnen Jünglinge das Verbot und ritten ohne Elsan davon. Ohne es zu wissen, gerieten sie auf die Straße nach Raben. Vor dieser Stadt stießen sie auf den starken Witege, der einst Dietrichs Gefolgsmann gewesen und in Ermenrichs Dienst getreten war.

"Wir müssen unsern Herrn Dietrich an dem Verräter rächen!" riefen die drei Jünglinge voller Kampfeseifer und drangen auf den Helden ein. Vergeblich mahnte Witege sie, vom Streite abzulassen, da sie ihn doch nicht bestehen könnten. Er mußte sich jedoch ihres Ungestüms erwehren und erschlug mit Mimung, seinem guten Schwerte, König Etzels beide Söhne, dann Dieter, den jungen Bruder des Berners.

Während Dieter und die Etzelsöhne mit Witege kämpften und sich ihr Schicksal vollzog, entbrannte vor der Stadt Raben eine schwere Schlacht zwischen den Mannen Dietrichs und König Ermenrichs. Lange Zeit tobte der Kampf hin und her. Dann gelang es Dietrich und seinen Recken, den Widerstand von Ermenrichs Scharen zu brechen. Der harterkämpfte Sieg hatte schwere Opfer gekostet. Viele Erschlagene und Verwundete lagen in ihrem Blute, und Dietrich befahl, die Verwundeten zu pflegen und die Toten zu bestatten.

Da sah er, wie eben Elsan auf die Walstatt geritten kam. Dietrich fragte sogleich nach den Jünglingen, die er dem Schutz des Recken anvertraut hatte. Er erfuhr, Schlimmes fürchtend, Elsan habe sie aus den Augen verloren, und bald darauf kamen Boten, die meldeten, Dieter und die Söhne Etzels lägen erschlagen auf der Heide.

"Habe ich sie dir, Elsan, nicht auf Leben und Tod übergeben?" rief Dietrich klagend aus. Dann übermannte ihn der Zorn, und er erschlug Elsan auf der Stelle. Als er die Toten fand und ihre Wunden untersuchte, erkannte er den Täter. Nur das Schwert Mimung schlug solche Wunden, und Witege war es, der dieses Schwert führte. Das Verlangen, den Tod der Jünglinge zu rächen, wurde übermächtig in ihm. Aber wo sollte er den Mörder finden?

Der treue Rüdeger von Bechelaren, dessen junger Sohn in der Rabenschlacht gefallen war, hatte Dietrich zur Todesstätte begleitet. Er war es auch, der Witege und seinen Neffen Rienold über die Heide reiten sah.

Dietrich nahm sofort die Verfolgung auf, als beide vor dem berserkerhaft wütenden Feinde flohen. Schließlich stellte sich der junge Rienold Dietrich entgegen und griff ihn mutig an. Er konnte jedoch Dietrichs rasendem Zorn nicht widerstehen und fiel nach kurzem Kampfe.

Witege, von furchtbarem Schrecken erfüllt, vergaß das Gebot der Ehre und suchte das Heil in der Flucht, auf die Schnelligkeit seines Pferdes vertrauend.

Aber der Abstand zwischen Witege und seinem Verfolger wurde immer kleiner, und da der Fliehende die Richtung auf das Meer nahm, hoffte Dietrich ihn am Strande zum Kampfe zu stellen. Schon verzweifelte Witege selbst an der Rettung, da erhob sich aus den Fluten eine Meerfrau, seine Urahne Waghild, die den letzten Sproß ihres Geschlechtes samt seinem Roß mit sich in die Tiefe zog. Vergeblich harrte Dietrich lange am Strande, in der Hoffnung, der Feind werde wieder auftauchen. Aber nichts zeigte sich über der weiten Flut, und Dietrich mußte erkennen, daß Witege seiner Rache für immer entzogen war.

Trotz des Sieges über Ermenrich blieb Dietrich bei den harten Verlusten seines Heeres nichts anderes übrig, als an Etzels Hof zurückzukehren. Durfte er aber wagen, nach dem Tode der Königssöhne, für deren Leben er sich verbürgt hatte, vor König Etzel und Königin Helche hinzutreten? In dieser Not bat er Rüdeger von Bechelaren um Beistand, und der wackere Kampfgenosse übernahm es, das hunnische Hilfsheer zurückzuführen und die Verzeihung des Königspaares zu erwirken.

Noch bevor er eintraf, erschienen die herrenlosen Rosse der beiden Königssöhne vor dem Palast. Sie hatten allein den Weg in die Heimat gefunden. Die blutigen Sättel kündeten von unheilvollem Geschehen.

Der Schmerz übermannte Etzel und Helche, als sie durch Rüdeger über das Schicksal der Söhne Gewißheit erlangten. Den Zorn des Königspaares über Dietrichs Wortbruch wußte Rüdeger jedoch zu besänftigen, indem er auf die unglückselige Fügung hinwies, die das Zusammentreffen der Jünglinge mit Witege bewirkt hatte.

Als Dietrich bald darauf vor Etzel und Helche erschien, neigte er sich bis zur Erde und bat, der König möge sein Leid an ihm rächen und ihn töten. Da Helche die Erniedrigung des Helden sah, brach sie in Tränen aus. König Etzel aber nannte ihn schuldlos und versicherte ihn seiner Huld. Lange Jahre lebte Dietrich noch an Etzels Hof, wegen seiner Tapferkeit und seines klugen Rates hoch geehrt und geachtet. Als Etzel nach Frau Helches Tod die schöne Kriemhild als Gattin heimführte und diese, voll Rachedurst gegen Sigfrids Mörder, die Burgunden ins Land lockte, um sie zu verderben, war es Dietrich, der König Gunther und den starken Hagen von Tronje im letzten Kampf überwand.

Nach dem Untergang der Burgunden war das Leben an Etzels Hofe grau und trostlos geworden. Etzels Lebensmut war gebrochen. Seine besten Mannen, unter ihnen Markgraf Rüdeger, waren im Kampfe gegen die Burgunden gefallen. Der einzige Sohn aus der Ehe mit Kriemhild hatte durch Hagens Schwert den Tod gefunden. Dietrich hielt nichts mehr im Hunnenlande zurück.

Er verließ Etzels Hof, um die Herrschaft in Bern zu übernehmen. Den alten Hildebrand, seinen getreuen Waffenmeister, schickte er voraus. An der Landesgrenze trat Hildebrand ein wehrhafter Recke entgegen; der Alte erkannte ihn nicht. Drohende Reden flogen hin und her, und bald ritten die beiden Kämpfer erbittert aufeinander los. Die Speere zersplitterten, die Schilde krachten, die Recken sprangen von den Pferden und begannen den Schwertkampf. Keiner konnte den andern überwinden, und schließlich wurden sie so müde, daß sie rasten mußten.

"Nenne mir deinen Namen und gib deine Waffen heraus!" rief Hildebrands Gegner zornig. Der Alte lachte höhnisch und verlangte von dem andern das gleiche. Da hieben beide wieder aufeinander ein, bis ihnen die Kräfte schwanden.

Schließlich schlug Hildebrand dem jungen Recken mit seinem Schwerte eine schwere Wunde, und endlich schien sich dieser besiegt zu bekennen. "Hier, nimm mein Schwert, denn du bist stärker als ich", sagte er und reichte es dem Alten. Doch als Hildebrand danach griff, schlug der Junge zu. "Diesen Schlag lehrte dich ein Weib!" schrie der Alte voller Zorn und drang auf den andern ein. Er warf ihn zu Boden und richtete das Schwert dem Liegenden auf die Brust, dann nannte er ihm seinen Namen. Nun gab auch der Unterlegene den eigenen preis: Es war Hadubrand, Hildebrands Sohn.

Da warf der Alte das Schwert von sich, schloß den Sohn voller Freude in die Arme und küßte ihn unter Tränen. Gemeinsam ritten sie zu Frau Ute. Die wunderte sich über den fremden Gast. "Ich bringe dir meinen Vater Hildebrand", sagte Hadubrand. Da umarmte Ute den Gatten, den sie über drei Jahrzehnte nicht gesehen hatte.

Nur kurze Zeit rasteten Vater und Sohn, dann ritten sie zusammen nach Bern an König Dietrichs Hof. Ermenrich, der ihm so lange die Herrschaft streitig gemacht hatte, war im Kampfe gefallen, und nun endlich konnte Dietrich sich in Rom, der Ewigen Stadt, mit der Königskrone schmücken lassen, die ihm rechtmäßig zustand. Die lange Zeit der Trennung von der Heimat hatte ihn erfahren und weise gemacht.

Viele Jahre trug der Gotenkönig in strahlendem Ruhm die Krone auf dem Haupte, und alles Volk verehrte seine Macht und seine Gerechtigkeit, seine Milde und wahre Mannestugend.

 

 

Parzival

Parzival der reine Tor

Vorzeiten verließ Gachmuret, der Sohn des Königs von Anjou, den Hof seines Vaters und zog nach Ritterart in die Welt hinaus. Es widerstrebte ihm, dem äIteren Bruder, der Krone und Königreich erbte, als Vasall zu dienen. Die Freunde lobten Gachmurets ritterlichen Mut und seine unwandelbare Treue, die Frauen seinen edlen Anstand und den Adel seiner Sitten; die Feinde aber mußten seinen starken Arm anerkennen und fürchten.

Auf seinen riesigen Fahrten und Abenteuerreisen durchquerte Gachmuret die persische und arabische Wüste und kam gar bis nach Damaskus. Dann wieder verschlug ihn der Seesturm an die Küste Afrikas, wo er im ehrenhaften Rittersold der schönen Mohrenkönigin stand: er gewann ihre Minne und befreite ihr die Hauptstadt von der Belagerung zweier feindlicher Heere.

Aber trotz Ehren und Goldeslohn ließ die Abenteuerlust den tapferen Recken nirgends stetig verweilen. In der spanischen Stadt Toledo vernahm er von dem Ritterturnier, das die Königin Herzeleide ausgeschrieben hatte. Sie war eine Witwe von berühmter Schönheit und hatte dem Sieger ihre Hand und das Königszepter zum Lohne geboten. Da meldete Gachmuret sich zum Wettkampf, und keiner der vielen Bewerber konnte seiner ungestümen Kraft und Gewandtheit widerstehen: als Sieger errang er den ausgesetzten Preis.

Mehrere Jahre lebte er nun an der Seite der Königin. Unter seiner weisen Regierung blühte das Reich auf. Doch der ritterliche Tatendrang ließ Gachmuret nicht lange ruhen, und als der Kalif von Bagdad ihn in Kriegsnot anrief, zögerte er nicht, dem Freunde im fernen Morgenlande zu Hilfe zu eilen. Vergeblich suchte Frau Herzeleide ihn zurückzuhalten.

Nach qualvoller Wartezeit kehrte endlich als Bote aus dem fernen Morgenlande einer von Gachmurets Knappen in der Königsburg ein; im Kampf vor Bagdad hatte er den Rittertod gefunden.

Bald darauf brachte Frau Herzeleide ein Knäblein zur Welt, wohlgestaltet und stark an Gliedern. Sie gab ihm den Namen Parzival.

Ohne den starken Arm ihres Gatten war Frau Herzeleide machtlos. Der König des Nachbarreiches stieß sie vom Thron und raubte ihr Krone und Land. Da zog sie in die Einsamkeit des Waldes Soltane; nur wenig Gesinde nahm sie mit sich und ließ auf einer Lichtung ein einfaches Haus bauen, den Wald roden und das Feld beackern.

Die liebevolle Sorge der Mutter galt nun dem kleinen Parzival. In ihrem Groll gegen Krieg und Männerkampf, die ihr das Liebste auf der Welt genommen hatten, verbot sie ihren Dienstleuten bei strengster Strafe, dem Jungen gegenüber jemals ein Wort von Ritterschaft und ritterlichem Wesen verlauten zu lassen:

"Denn würde mein Sohn, mein liebstes Erbe des toten Gatten, vernehmen, was Ritterleben ist, so brächte es ihm und mir nur noch weiteres Leid!"

Die Dienerschaft handelte sorgsam nach den Befehlen der Herrin. Was Parzival an ritterlicher Übung verblieb, waren Bogen und Schießbolzen, die er sich mit eigener Hand fertigte, um die Vögel im Walde zu erlegen. Doch wenn das gefiederte Wild getroffen vor ihm lag, so packten ihn Mitleid und bittere Reue, und der Vogelsang in den Baumwipfeln ergriff ihn so sehr, daß er traurig den Tag verbrachte.

"Warum sollen denn die armen Vögel sterben?" fragte Parzival betrübt seine Mutter.

Da küßte sie ihn innig: "Wie sollte ich wohl etwas gegen den Willen unseres höchsten Gottes tun?"

"O Mutter", rief er, "was ist denn das: Gott?" Und Frau Herzeleide antwortete: "Gott ist noch lichter als das helle Tageslicht, mein Sohn, dies merk dir als Lebensweisheit: Rufe ihn an in jeder Not; er wird dir immer getreulich helfen."

Bald war Parzival Meister im Wurfspieß. Bei jedem Wetter war er auf der Jagd, und alle bewunderten seine männliche Körperkraft, wenn er das schwere Wild, an dem ein Maultier seine Last gehabt hätte, allein auf den Schultern heimtrug.

Als Jung-Parzival einst von der Pirsch heimkehrte, hörte er vor sich auf dem Waldpfade Hufschläge. "Wenn jetzt der Teufel käme", sagte er bei sich und faßte den Wurfspeer fester, "wie wollte ich ihn im Kampfe bestehen!" Kampflustig stand der junge Held bereit.

Doch wie staunte er: Drei prächtige Gestalten jagten zu Pferde daher, herrlich in blanken Stahl gewappnet. Der junge Waidmann glaubte in seiner Einfalt allen Ernstes, jeder von den dreien sei ein Gott. Er warf sich mitten auf dem Wege auf die Knie. "Hilf, Gott!" rief er mit erhobenen Händen. "Du kannst wohl Hilfe spenden!"

Die drei Stahlgepanzerten waren Ritter des Königs Artus. Der erste wurde zornig über die Behinderung: "Du ungeschickter Tölpel", fuhr er ihn an, "halt uns unsern Ritt nicht auf!" Mit verhängtem Zügel kam da ein vierter Ritter daher, noch glänzender gewappnet als die drei anderen.

Parzival stand wie im Traume. Noch nie hatte er soviel lichten Glanz geschaut. Er glaubte, Gott selber stehe vor ihm, von dem seine Mutter ihm so oft erzählt hatte, wenn sie ihn den Unterschied von Licht und Finsternis lehrte. Inbrünstig hob der Königssohn die Hände zum Himmel: "O hilf mir, hilfreicher Gott!"

"Ich bin nicht Gott", gab der eine Ritter lächelnd zurück; "was du hier vor dir siehst, das sind vier Ritter, die in seinem hohen Dienst leben."

"Du sagst: Ritter," rief der junge Mensch; "so sag mir doch, wer denn Ritterschaft gibt!"

Die Ritter mußten über sein einfältiges Fragen lächeln. Der Vornehmste unter ihnen aber gab wieder geduldig Antwort: ,"Das tut unser König Artus. Kommt an seinen Hof, er wird Euch den Wunsch gern erfüllen." Wohlgefällig blickten die vier auf den edlen Wuchs des Jungen, dessen königliche Abkunft unverkennbar schien.

Voller Neugier betrachtete Parzival Harnisch und Waffen der Ritter und weckte wieder ihr Lachen durch seine einfältigen Fragen. Panzerringe und Brünne, Harnisch und Schild - alles war ihm ja ganz unbekannt. Nachsichtig erklärten die Ritter ihm den Gebrauch von Schild und Schwert.

Der Knabe aber eilte in begeisterter Freude zur Mutter, um ihr von der erregenden Begegnung zu berichten. "Gib mir ein Pferd, Mutter", bat er mit glühenden Wangen, "daß ich an König Artus, Hof ziehe, ein Ritter zu werden!" Die Königin, die alle ihre Mühe und Muttersorge so grausam zunichte sah, hörte von der Begegnung im Walde. Parzival erzählte von der glänzenden Erscheinung der vier Ritter, und die Mutter mußte mit Herzensbitternis erkennen, daß sie ihren Jungen nun doch nicht länger würde zurückhalten können. Da sann sie in ihrer sorgenden Mutterliebe auf Mittel und Wege, ihn schnell wieder von seinem Vorhaben abzubringen und zu ihr zurückzuführen. Sie wollte ihn so lächerlich ausstaffieren, daß er, vom Spott der Welt zurückgestoßen, gar bald umkehren würde.

So kleidete sie ihn in ein Gewand aus grobem Sackleinen, setzte ihm eine Narrenkappe auf den Kopf und gab ihm plumpe Schuhe aus ungegerbtem Kalbsfell, wie Gaukler sie tragen.

"Du sollst mit meinem mütterlichen Rat in die Fremde hinausziehen", sagte sie und umarmte den geliebten Sohn inbrünstig. "So höre, was ich dir sage: Wenn du ohne Pfad daherziehst, so meide dunkle Furten; aber in die seichten und lauteren Furten kannst du kühn hineinreiten. Zum zweiten: Sei höflich gegen jedermann und entbiete jedem deinen Gruß! Zum dritten: Hab Achtung vor einem grauen Haupte und folge dem Rate des erfahrenen Alters! Und zuletzt: Wenn eine edle Jungfrau dir Ring und Gruß bietet, da greif getrost zu; ein Kuß in Ehren bringt gutes Glück. Und du sollst wissen, mein Sohn Parzival, daß du von königlichen Ahnen bist und daß es der hochfahrende Lähelin war, der dir dein angestammtes Erbe entrissen hat!"

"Das werde ich rächen!" rief Parzival entschlossen. "Mein Wurfspeer soll ihn zu Tode treffen!"

Da umarmte ihn die Mutter in Liebe. Er küßte sie zum Abschied. Doch als Jung-Parzival am Waldesrand ihren Blicken entschwand, sank Frau Herzeleide tot zur Erde; der Abschiedsschmerz hatte ihr das Herz gebrochen.

Inzwischen ritt der schöne Knabe fürbaß, ohne von dem Tode der geliebten Mutter zu wissen. Der Weg führte ihn an einen Bach, den wohl ein Hahn hätte durchschreiten können; aber weil das Wasser dunkel erschien, so achtete er das Wort der Mutter und mied den Übergang. Den ganzen Tag rit er am Ufer entlang und übernachtete schließlich im Freien, da er keine Furt finden konnte. Erst der helle Morgen zeigte das seichte Wasser so klar, daß er den Übergang wagte.

Bald darauf überquerte er eine Wiese, auf der ein Zelt stand; es war ganz aus kostbarem, dreifarbigem Sammet und mit feinen Borten verziert.

Behutsam wagte der Junge einen Blick in das Innere. Da sah er eine schlafende Frau, edel geformt war sie und liebreizend ihr Mund mit den leuchtenden Lippen. Es war Jeschute, die Frau des Herzogs Orilus.

"Wie hat mir die Mutter angeraten?" sagte Parzival leise zu sich. Er dachte an ihre Worte von Gruß und Ring, und unbekümmert schob er den Vorhang beiseite, gab der Schlafenden einen Kuß und zog ihr dabei den Ring vom Finger. Frau Jeschute mußte wohl wach werden von der unsanften Berührung. "Was erlaubt Ihr Euch" Junker, mein Gemach zu betreten und mich durch Euren Kuß zu entehren?" fuhr sie voll Zorn und Scham auf.

Doch Parzival kümmerte sich nicht um ihren Unwillen. "Meine Mutter lehrte mich so", versetzte er; "und außerdem habe ich Hunger." Da mußte die Herzogin trotz aller Kränkung lächeln. "Dort auf dem Tisch findet Ihr Brot und Wein und auch zwei zarte Rebhühner, die meine Dienerin mir brachte."

Da setzte der ungebetene Gast sich zum Mahl und trank auch reichlich von dem Wein. Schamgefühl und der Gedanke an den Herzog ließ Frau Jeschutes Herz ängstlich schlagen: "Junker", bat sie, "gebt mir mein Ringlein zurück und zieht eilig Eures Weges! Trifft der Herzog Euch hier an, so wäre es sehr zu Eurem Schaden!"

Doch Parzival war unbesorgt. "Was sollte ich mich wohl vor dem Zorn Eures Gemahls fürchten, edle Frau? Wenn ich aber Eurer Ehre Schaden antue, so will ich Euch gern zu Willen sein und meines Weges gehen!" Entsetzt wich die Herzogin zurück, als er ihr zum Abschied wieder einen Kuß raubte. "Der Kuß einer edlen Frau bringt Glück, hat mich meine Mutter gelehrt", so sagte er treuherzig, grüßte Frau Jeschute ehrerbietig und ritt davon. Er freute sich, den Rat seiner Mutter so trefflich befolgt zu haben.

Bald kehrte der Herzog zu ihr zurück, und an dem niedergetretenen Gras erkannte er nur zu deutlich, daß Frau Jeschute Besuch gehabt hatte. "Hab ich das um dich verdient", fuhr er sie zornig an, "daß du mir solche Schande antust?"

Mit Tränen in den Augen leugnete die Frau jede Schuld. Und ängstlich berichtete sie von dem närrischen Besucher, der ihr gegen ihren Willen Ring und Kuß geraubt und zu essen begehrt habe. Aber sie konnte doch nicht unterlassen, seine edle Erscheinung zu loben: "So viel Junker ich kennengelernt habe, nie sah ich solche Jugendschönheit!"

Dies unbedachte Wort weckte natürlich die Eifersucht des Herzogs noch mehr. In seinem ritterlichen Zorn schwur er, den elenden Verführer zu züchtigen, wo er ihn antreffe. Jeschute aber wollte er hinfort nicht mehr als sein Ehgemahl achten. "Mögen deine roten Lippen blaß werden und deine Augen rot vom Weinen - ich werde dich für deine Untreue strafen. Als Magd sollst du mir folgen auf einem dürren Klepper; und statt des kostbaren Zügels sollst du einen bastgedrehten Strick führen!"

Ohne die Tränen der Unglücklichen zu achten, rüstete der Herzog zum Aufbruch und befahl der verstoßenen Gattin, ihm zu folgen. Welches Herzensleid hatte Parzival ihr durch seine Unbedachtsamkeit gebracht!

In grimmigem Haß ritt der Herzog der Fährte nach; aber der harmlose Knabe, der die Verfolgung nicht ahnte, war nicht mehr aufzuspüren. Unbefangen zog er seines Weges. Wer seinen Weg kreuzte, den grüßte er höflich und setzte hinzu: "So hat es mich meine Mutter gelehrt."

Vor einem Felsabhang hörte er plötzlich die Stimme einer Jungfrau, die schrie verzweifelt. Sie saß am Bergeshang und hielt in ihrem Schoß einen toten Ritter.

Voll Mitleid trat Parzival näher und grüßte höflich, wie ihn seine Mutter gelehrt hatte. "Gott schütze Euch, edle Jungfrau", rief er ihr zu. "Sagt mir doch, wer dem Ritter ein Leid zufügte. Wenn ich Euch nützlich sein kann, bin ich gar gern erbötig, für Euch einzutreten."

"Ich sehe, daß Ihr ein ritterliches Herz habt, Junker", erwiderte sie zaghaft; "so hört: Dieser Ritter, um den ich traure, war mein Verlobter. Er wurde vom Herzog Orilus erschlagen. Doch ehe ich weiterspreche, sagt mir, wer Ihr seid! Ihr scheint mir treue Eltern zu haben, daß Ihr so liebevoll Anteil zu nehmen wißt."

Parzival erkannte in ihr Sigune, die Schwestertochter seiner Mutter. "Liebe Base", sagte der Junge voll Zorn und Mitleid; "ich werde dich an dem Herzog Orilus rächen. Zeige mir den Weg, den er geritten ist, so will ich ihn sogleich zum Zweikampfe stellen!"

Aber der Jungfrau war es schon leid, seine Kampfeswut geweckt zu haben, denn sie mußte ja fürchten, der unerfahrene Junge würde den Kampf gegen den grimmen Ritter nicht bestehen. So wies sie ihm den falschen Weg.

Parzival aber machte sich voll Eifer an die Verfolgung und ritt die Straße, die ins Bretonenland führt. Und wer seinen Weg kreuzte, ob Ritter oder Kaufmann, den grüßte er mit höflichem Gruß und setzte arglos hinzu: "So hat mich's meine Mutter gelehrt."

Gegen Abend kam der Junge, müde von dem langen Ritt, vor eine armselige Fischerhütte und bat um Obdach. Aber der Fischer, ein grober Geizhals, wollte ihn mit barschen Worten von der Tür weisen. Erst als Parzival ihm Frau Jeschutes Ring zum Lohn bot, wurde der ungefällige Mann gefügig. "Willst du mir morgen früh den Weg an den Königshof weisen, wo König Artus Tafelrunde hält", setzte der Jüngling hinzu, "so soll dieser goldene Ring dein Eigentum sein."

So kam Jung-Parzival vor die Stadt Nantes ins Reich des Königs Artus.

Vor der Stadt begegnete ihm ein Ritter, dem er freundlichen Gruß bot. Die Antwort war gleicherweise freundlich: "Gott lohn es Euch, Junkerlein!" Parzival hielt seinen Klepper an und betrachtete verwundert den riesigen Mann. Rot war seine Rüstung und rot sein Roß; auch der Kopfschmuck des Pferdes und die samtene Satteldecke waren von glänzendem Purpur und der Schild rot wie Feuer.

Es war Ither von Gahawieß, den man den roten Ritter nannte, König Artus' Vetter. In seiner Faust hielt er einen goldenen Becher, den er von des Königs Tafel genommen hatte.

Mit Wohlgefallen blickte er auf den schönen Jüngling. "Wollt Ihr in die Stadt dort", sagte er, "so tut mir den Gefallen, dem König und seinen Mannen eine Botschaft von mir zu überbringen. Ich lebe mit ihm im Streit um mein Erbland."

Parzival willigte gern ein.

"So sagt dem König Artus und den Rittern seiner Tafelrunde, der rote Ither habe nicht im Sinne, von seinem angestammten Rechte zu lassen. Meldet ihm, daß ich zum Zeichen meiner Besitzrechte den goldenen Becher von der Tafel an mich nahm und daß ich gewillt bin, für meine Rechte mit dem Schwerte einzustehen!"

Parzival versprach, die Botschaft treulich zu überbringen.

Er trabte wohlgemut in die Stadt hinein. Doch sein wunderlicher Aufzug erregte überall Aufsehen; man begleitete ihn mit lauten Spottrufen, daß er sich nur mit Mühe seinen Weg bahnte. "Komm, Junker, ich helfe Euch", stellte sich ihm da freundlich ein Jüngling zur Seite; es war Iwein, ein Knappe von Artus, Hofe, der sich seiner hilfreich annahm und ihn zum Königsschloß geleitete.

Bei dem Anblick der vielen reichgeschmückten Ritter rief Parzival ganz verwundert: "So viele Artusse sehe ich hier! Welcher von ihnen ist denn nun der richtige, der mich zum Ritter schlagen wird?" Die Ritter alle lachten über seine Einfalt. Man führte den Jüngling in den Palast, wo die edle Hofgesellschaft, König Artus' berühmte Tafelrunde, versammelt saß.

In die frohe Festesstimmung hinein rief Parzival unbekümmert seinen Gruß: "Gott schütze Euch, Ihr edlen Ritter, und besonders Euch, Herr König, mit Eurer hohen Gemahlin!" Und wie immer setzte er treuherzig hinzu: "So hat es mich meine Mutter gelehrt."

König Artus blickte den jungen Menschen, der gekleidet war wie ein Gaukelspieler und gewappnet wie ein Strauchdieb, verwundert an. "Ich überbringe eine Botschaft", rief Parzival: "Ein roter Ritter, Ither mit Namen, läßt dem König Artus seinen Gruß entbieten und ihm vermelden, er warte draußen vor dem Stadttor mit einem goldenen Becher auf den, der ihm sein Erbrecht streitig zu machen bereit sei."

Das Lächeln, mit dem die Ritterrunde Parzivals Begrüßungsworte aufgenommen hatte, war ihr schnell vergangen. "Mir scheint wohl" setzte der Junge ruhig hinzu, "er will mit einem von Euch kämpfen. Wie gerne gewänne ich selber die prächtige Rüstung dieses edlen Ritters."

Nur unwillig gab der König seine Zustimmung, daß Parzival selber den Kampf mit dem kühnen Herausforderer übernähme. Bekümmert blickte er den Jungen an: "Die Rüstung, die Ihr begehrt, trägt der tapferste Ritter. Ach, wüßtet Ihr, wie sehr sogar ich selber meinen ungestümen Neffen fürchten muß!"

Doch Parzival war zum Kampf entschlossen. Mit dem Sieg erstrebte der unerfahrene Knabe den Besitz der Ritterrüstung und den Ritterschlag aus der Hand des Königs Artus.

Alle Ritter der Tafelrunde waren voller Spannung über den Ausgang des Kampfes. Auch die Königin mit ihrem Gefolge begab sich ans Fenster, um das Schauspiel zu erleben. Unter den Damen saß die stolze, schöne Frau Kunneware, des Herzogs Orilus Schwester; sie hatte ein Gelübde getan, nie zu lachen, bis sie den Mann erblickte, dem es bestimmt sei, den höchsten Heldenruhm zu erwerben. Als sie den kühnen Junker in dem narrenhaften Gewand vorüberreiten sah, da lachte sie plötzlich hell auf.

Das verdroß Herrn Keye, den Oberhofmeister, so sehr, daß er sie zornig bei ihren langen Flechten packte und ihr mit seinem Stab derb über den Rücken schlug. Erschrocken blickten alle auf den Rohling, der sich so hatte hinreißen lassen, die edle Fürstin zu schlagen.

Der junge Parzival war Zeuge der Schmach, die der Dame um seinetwillen widerfuhr. Der Wurfspieß zuckte ihm in der Hand, für die Übeltat sogleich Rache zu üben. Aber um der Königin willen verschob er die Vergeltung auf spätere Zeit.

Ungeduldig wartete Ither indessen vor dem Tore auf den Helden, der ihm sein Recht streitig machen wollte. Wie staunte er, als Parzival auf seinem elenden Klepper ihm entgegenritt!

Der rote Ritter fand natürlich nur Spottworte für Parzivals kecke Herausforderung. Parzival ließ sich nicht abweisen und bestand auf seinem kühnen Anspruch. Er verlangte Rüstung, Waffen und Pferd des roten Ritters. Als er kühn Herrn Ithers edles Roß beim Zügel packte, stieß dieser zornig den Jungen mit umgekehrtem Lanzenschaft vom Gaule, daß er rücklings ins Gras fiel. Aber schon stand Parzival auf den Füßen, schleuderte seinen Wurfspieß und traf in des Ritters Eisenhelm so geschickt die Spaltöffnung im Visier, daß die Waffe tief ins Haupt eindrang. Ither sank tot zu Boden.

Mit dem jungen Sieger waren alle Zuschauer überrascht über den schnellen Sieg. Ein Knappe half Parzival, den Besiegten zu entwaffnen.

Schnell zog er die prächtige Rüstung des Besiegten über sein sackleinenes Narrengewand, legte die Beinschienen an und schnallte die Sporen fest.

Behende schwang sich der Junge auf das edle kastilische Roß seines toten Gegners. "Wie prächtig Ihr erscheint in Eurer Rüstung und auf dem edlen Streitroß, Junker", rief der Helfer entzückt; "nie sah ich ein so schönes Bild eines Ritters!"

So wurde Parzival zum Ritter. Frohgemut ritt er in die Welt hinaus. Es drängte ihn, neue Abenteuer zu erleben.

Gegen Abend sah der Reiter von ferne die Zinnen einer Burg im Sonnenglanz leuchten. Der Burgherr selber, der Ritter Gurnemanz, saß im Schatten einer Linde auf grünem Anger davor und blickte dem Ankömmling entgegen. Er war im Lande wegen seiner Lebenserfahrung und Altersweisheit und wegen seiner ritterlichen Tugenden geachtet und geehrt.

Parzival grüßte ihn nicht nach Ritterart. "So hieß mich meine Mutter tun", sagte er dabei, und er setzte hinzu: "Und sie gebot mir, ein greises Haupt zu achten und die weisen Lehren des Alters anzunehmen. So bitte ich Euch um Euren Rat; ich werde ihm gerne gehorchen."

"Ich will Euch zu Willen sein", erwiderte der Alte freundlich, "sofern Ihr meinen Worten folgen wollt." Damit nahm er seinem Sperber, den er auf der Faust trug, die Kappe von den Augen und warf ihn empor; hell klang die goldene Schelle, als das Tier sich durch die Luft schwang und als Bote zur Burg hinüberflog. Dort standen Ritter zu Parzivals Empfang bereit und nötigten ihn, vom Pferde zu steigen.

Aber der einfältige Parzival, dem ritterliche Art ganz fremd war, wollte davon nichts wissen. "Seit König Artus mich zum Ritter machte, muß ich zu Pferde sein und darf nicht absteigen." Erst mit freundlicher Nötigung brachten sie den reisemüden Gast dazu, aus dem Sattel zu steigen und in die Kemenate zu treten. Wie staunten sie, als sie unter dem schweren Panzer die Narrenkleider und die groben Bauernstiefel erblickten!

Mit freundlicher Nachsicht redete Gurnemanz dem unerfahrenen Jüngling dann zu. Parzival, der einfältige Tölpel, der bisher jedes Gebot seiner Mutter in treuherziger Wörtlichkeit aufgefaßt hatte, lernte in den Tagen, da er bei Gurnemanz zu Gaste war, feine Ritterart und gottgefälliges Leben, das den Menschen zum Seelenheil führt.

"Die Art, wie Ihr von Eurer Mutter redet", belehrte ihn der Alte, "erhöht nicht Eure Ritterehre. Bewahrt Euch edle Scham! Das ist mein zweites Gebot an Euch. Schamlosigkeit führt den graden Weg zur Hölle. Nach Art und Haltung taugt Ihr wohl zum Ritter. Vergeßt dabei aber nicht das Hauptgebot ritterlicher Pflicht: Habt Erbarmen mit den Bedrängten! - Auch Milde und Güte zu erweisen ist Ritterpflicht! - Bewahrt Euch stets ein demütiges Herz und helft dem schuldlos Verarmten! - Der weise Mann versteht den rechten Mittelweg einzuhalten zwischen Geiz und Verschwendung!"

Parzival hörte schweigend zu. Wohl erkannte er, daß des Alten Worte aus weiser Erfahrung und aus mitfühlendem Herzen gesprochen wurden, und er war ehrlich bestrebt, die Lehren anzunehmen.

"Ich habe bemerkt, daß Ihr Belehrung braucht", fuhr der Alte fort. "So hört mich weiter: Ich rate Euch, laßt das unziemliche Daherreden und haltet Eure Gedanken in Zucht.

Fragt nicht zuviel! Und wenn man an Euch Fragen richtet, so antwortet bedächtig und überleget wohl! Im ritterlichen Kampfe sollt Ihr tapfer streiten - und großmütig verzeihen. Dem Gegner, der sich ergibt, gewähret ritterlich Schonung. Und achtet auf alles, was höfische Sitten, Zucht und Anstand gebieten; vergeßt nicht, Euer Äußeres nach ritterlichen Formen zu pflegen, so wie wir es den Frauen schuldig sind! - Ja, ehret und liebet die Frauen! Die edle Minne hütet sich vor allem Falsch; nur sie erhöht und erhebt des Menschen Leben."

Parzival dankte dem weisen Alten für seine tiefen Lehren und nahm sich alle ernstlich zu Herzen. Mit großer Freude folgte er nun Gurnemanz, Unterweisung im ritterlichen Zweikampf; der Alte erwies sich als ein trefflicher Lehrer in der kunstgerechten Führung der Waffen. Unermüdlich nahm er den Gast mit auf den Turnierplatz und ließ ihn sich mit seinen Leuten fleißig üben.

Im Tjost, dem ritterlichen Zweikampf, mit Herrn Gurnemanz, Rittern durfte Parzival beweisen, wie schnell er die Unterweisung angenommen hatte. Fünf Ritter, die gegen ihn anritten, hob er so leicht aus dem Sattel, daß jeder seine Gelehrigkeit anerkennen mußte und Gurnemanz ihm alles Lob zollte.

Aber bald trieb es ihn zu neuen Abenteuern hinaus in die Welt. Gurnemanz hörte mit großer Betrübnis seine Bitte, Abschied nehmen zu dürfen.

Mit Tränen in den Augen reichte er dem liebgewordenen Freunde die Hand und sah ihn bekümmert von dannen reiten.

Gedankenverloren ritt Parzival seinen Weg. Er fühlte, wie sein Herz von Gefühlen zerrissen war, für die er nicht Namen noch Inhalt wußte. War es, weil er sein kindliches Gemüt abgelegt hatte?

In solcher Stimmung ließ er dem Pferd die Zügel und achtete nicht, wohin es ihn durch die pfadlose Einsamkeit führte.

Über Berg und Tal ging es, durch unwegsame Gebirgsketten und waldige Einöde, bis ein reißender Fluß den Weg hemmte. Der Abend legte sich schon mit feinem Schleier über die Landschaft, und Parzival folgte dem Laufe des Flusses, bis er im Scheine des Abendrotes am anderen Flußufer eine vieltürmige Stadt auftauchen sah. Es war Belrapeire, die Stadt der Königin Kondwiramur.

Über den Fluß führte eine Brücke aus leichtem Flechtwerk, und sechzig Ritter mit aufgebundenen Helmen sicherten sie und wollten dem Fremden den Übergang wehren, denn sie glaubten, er stehe im Bündnis mit Klamide, der die Stadt ihrer Herrin belagerte.

Größte Not herrschte unter den Belagerten. Welches Bild des Jammers bot sich dem Fremden, als er durch die Straßen ritt! Überall erblickte er gewappnete Ritter, aber welches Bild des Jammers boten all die Männer, die zur Verteidigung ihrer Stadt angetreten waren! Schlaff und kraftlos schlichen die Bürger unter der Last ihrer Waffen daher, und die Ritter, die dem Ankömmling entgegentraten, waren bleich und abgezehrt.

Ja, in der Stadt herrschte Hungersnot, denn alle Zufuhr war ihr durch das feindliche Belagerungsheer abgeschnitten.

Neue Hoffnung erfüllte die armen Stadtbewohner, als sie den kraftstrotzenden Recken begrüßten, der freiwillig in den Dienst ihrer bedrängten Stadt trat. Parzival ließ sich zum Schlosse führen, wo ihn die jungfräuliche Königin Kondwiramur empfing. Aber welches Gefühl ergriff ihn, als er die herrliche Erscheinung sah! Nie zuvor, so meinte er, hatten seine Augen so viel Frauenschönheit erblickt. Lichter Glanz, so schien es ihm, ging von ihr aus. Von zwei Herzögen ihres Landes geleitet, trat sie dem jungen Ritter entgegen, küßte ihn in züchtigem Anstand auf die Stirn und führte ihn in den Saal. War es die Ritterlehre des greisen Gurnemanz, die ihn schweigen ließ, oder nahm ihm Kondwiramurs Schönheit jede Sprache, Parzival redete kein Wort. "Ob ich ihm wohl mißfalle, weil ich so verhungert aussehe?" dachte die Königin befangen.

Schließlich brach sie das Schweigen, das lastend werden wollte: "Edler Ritter, als Hausherrin habe ich Euch den Willkommensgruß gegeben. So will ich als Herrin der Stadt auch das erste Wort sprechen. Wie mir eine meiner Frauen berichtet, habt Ihr mir Euren Beistand verheißen. Solches Angebot wurde mir in meiner bedrängten Lage noch niemals gemacht. So sagt mir, wer Ihr seid und von wo Ihr kommt!"

Parzival nannte seinen Namen und berichtete von seinen Erlebnissen: ,"Heute morgen, Frau Königin, ritt ich von der Burg des edlen Gurnemanz fort, wo ich mehrere Tage als Gast geweilt habe." Mit Staunen hörte Frau Kondwiramur seine Worte: "Einen anderen, edler Ritter, würde ich für solche Worte der Lüge zeihen; denn ein jeder meiner Boten, und ritt er auch das schnellste Roß, benötigt für diese Wegstrecke wenigstens zwei volle Tage! Doch sagt, wie geht es meinem lieben Oheim? Ihr müßt nämlich wissen, daß meine Mutter Herrn Gurnemanz, Schwester war. Seid Ihr mit ihm Freund, so sollt Ihr auch mir hoch willkommen sein." Parzival dankte ritterlich für die Aufnahme. Aber zum Nachtmahl wollte er sich nicht einladen lassen. "Der geringen Reste, die Ihr noch besitzt, will ich Euch nicht berauben, Frau Königin", sagte er. "Verteilt es lieber an die armen Leute, die vor Hunger umkommen. Für uns beide wird eine Scheibe Brot genügen."

Dankbar folgte die Königin seiner Weisung. Hoffnungsfroh, daß seine Ankunft das Schicksal ihrer bedrängten Stadt wenden würde, teilte sie mit ihm ihren letzten Bissen Brot und ließ ihm sodann im Fremdengemach ein prächtiges Bett herrichten.

Schnell war der müde Gast eingeschlafen.

Kondwiramur lag auf ihrem Ruhebett und blickte mit starren Augen in die schwarze Dunkelheit. Die Sorge um ihre Stadt lastete ihr schwer auf der Seele und ließ sie keine Nachtruhe finden. Würde sich die neuerwachte Hoffnung erfüllen, daß Parzival den Belagerern Trotz bieten könnte?

Gegen Mitternacht hielt es sie nicht länger auf dem Lager, über ihr seidenes Nachtgewand zog sie einen samtenen Mantel, schritt leise an ihren schlafenden Kammerfrauen vorbei auf Parzivals Kemenate zu und öffnete behutsam die Türe. Ihr Fuß stockte in jungfräulicher Scham, aber dann ging sie entschlossen auf Parzivals Ruhebett zu und kniete schweigend vor ihm nieder.

Parzival fuhr erschrocken auf. "Kommt, setzt Euch zu mir!" sagte er dann und hob sie auf.

Da nahm sie voll Befangenheit an seiner Seite Platz und berichtete von ihrer bedrängten Lage. Sie wurde nach dem Tode ihres Vaters vom König Klamide zur Frau begehrt, und weil sie sich weigerte, belagerte er nun ihre Stadt und hatte viele ihrer kühnen Ritter erschlagen.

"Ach", rief sie voller Verzweiflung, "welche Hoffnung gibt es noch für mich Arme!"

Parzival hatte schweigend der Klage zugehört. Aber sein Herz war voll Mitleid, der schönen Königin zu helfen. "Sagt, edle Herrin", rief er entschlossen, "was ich Euch zum Trost und zur Rettung tun kann! Und seid versichert, in mir einen treuen Helfer zu finden!"

Unter Tränen gab Kondwiramur ihm Antwort: "Wenn Ihr mich erlösen wolltet von dem schrecklichen Kingrun, Herrn Klamides Seneschall. Morgen kommt er wieder vor meine Burg und meint, mich endlich in die Arme seines Herrn zu zwingen."

Parzival war ganz gefangen vom Liebreiz der Königin. "Vieledle Herrin", versetzte er schlicht, "seid versichert, daß Ihr in mir einen Helfer habt gegen jeden Eurer Feinde!"

"Welch Trost sind mir Eure Worte", rief sie beglückt; "habt innigen Dank, Herr Ritter!" Dann schlich sie leise in ihr Schlafgemach zurück. Niemand hatte den nächtlichen Besuch bemerkt.

Parzival aber konnte nicht wieder einschlafen; zu sehr bewegten ihn die Worte der schönen Königin.

In aller Frühe verlangte Parzival nach seinem Harnisch und ließ sich wappnen. Schon zeigte sich der grimme Kingrun vor dem Tore. Weit ritt er Klamides Heere, das mit vielen Streitbannern drohend heranrückte, voraus. Ohne Zaudern sprengte Parzival dem furchtbaren Gegner entgegen.

So wuchtig war der Anprall, daß die Pferde mit geborstenen Gurten und Bauchriemen zu Boden sanken. Behende aber sprangen die Ritter aus dem Sattel, zogen das Schwert und setzten den Kampf zu Fuß fort.

Es war Parzivals erster Schwertkampf. Doch er zeigte, was er bei Ritter Gurnemanz gelernt hatte. Seine Schwerthiebe trafen den Seneschall so wuchtig wie Würfe einer mächtigen Steinschleuder. Parzival bezwang ihn nach bitterem Kampfe und setzte ihm den Fuß auf die Brust, doch Herr Kingrun bat um sein Leben. "Ich biete Euch als Sühne, was Ihr verlangt", rief er, und Parzival, der nicht nach Rache strebte, gewährte sie ihm. Er gebot ihm, an König Artus, Hof zur Jungfrau Kunneware zu gehen, die einst um Parzivals willen von dem Seneschall Keye so gröblich beleidigt war. "Sagt der edlen Jungfrau", fügte er hinzu, "sie werde mich nimmer froh sehen, bis ich jene üble Tat gerächt und dort einen Schild durchbohrt habe!"

König Klamides Ritterheer ließ nach diesem Siege über den stärksten Streiter sogleich von weiteren Angriffen ab. Bejubelt von den Bürgern der Stadt, kehrte Parzival zurück. Alle riefen laut, der Heldenjüngling solle die Hand der jungen Königin erwerben und Krone und Reich in seine männliche Gewalt nehmen.

Freudig begrüßte ihn auch Kondwiramur, umarmte ihn vor allen Leuten und half ihm selber, Waffen und Harnisch abzulegen. "Nie auf Erden will ich eines anderen Weib werden als dessen, den ich hier umarmt habe", sagte sie mit glückseligem Lächeln.

Da zeigten sich zwei braune Segel auf dem Meere, und schnell trieb der Wind zwei mächtige Kauffahrteischiffe in den Hafen; der Sturm hatte sie dorthin verschlagen. Zwei Schiffe, voll beladen mit Lebensmitteln! Gott selber machte es in seiner Weisheit so gefügt haben.

Parzival bot den Kaufleuten doppelten Preis für die Habe und sorgte für gerechte Verteilung an die hungernde Bevölkerung. Er selber überwachte fürsorglich, daß jeder zu seinem Recht kam. Unter inniger Anteilnahme der ganzen Stadt wurde sodann die Hochzeit des jungen Paares gefeiert.

Parzival war jetzt Ehegatte der schönen Kondwiramur und König von Belrapeire.

Der grimme König Klamide wollte die Unglücksbotschaften nicht glauben, die ihm von Kingruns Besiegung berichteten. Er war tief bedrückt über die Mutlosigkeit seines Heeres und wagte keinen neuen Angriff.

Parzival ließ die Tore zu einem Ausfall öffnen und stritt allen tapfer voran. Bald gelang es ihm, den König selber, der seiner jungen Gemahlin soviel Leid zugefügt hatte, zum Zweikampf zu stellen. Der Sieg in diesem Streit der beiden Könige, so wurde nach Ritterart vereinbart, sollte über den Ausgang des ganzen Krieges entscheiden.

Auch hier erwies sich Parzival als der Überlegene. Klamide hatte nicht die Ausdauer des starken Parzivals. Schließlich traf ihn ein so mächtiger Schwertstreich, daß er zu Boden stürzte und Parzival ihm den Helm vom Kopfe riß. Der Besiegte erwartete den Todesstreich.

Doch Parzival schonte in seinem Edelmut auch diesen Besiegten. Er gab auch ihm auf, an König Artus, Hof zu ziehen und sich der Jungfrau Kunneware als besiegt zu stellen. "Und sagt dem Seneschall Keye", fügte er hinzu,"daß meine Rache nicht auf sich warten lassen wird."

So war das Land von der lastenden Belagerung befreit.

Die beiden Besiegten ritten nach Parzivals Gebot an den Artushof in die Bretagne und richteten der Jungfrau Kunneware getreulich den Sühnebefehl ihres Besiegers aus. Wie staunte man dort über Parzivals Waffenerfolge!

Der junge König wußte die Krone mit Würde und in Ehren zu tragen. In kurzer Frist blühte das Land unter seiner weisen und kraftvollen Regierung wieder auf. Mit seiner schönen Gemahlin lebte Parzival in der glücklichsten Ehe. Kondwiramur hing mit inniger Liebe und Bewunderung an ihm.

Doch für Parzival konnte die heitere Ruhe nicht von Dauer sein. Es drängte ihn hinaus auf Abenteuer. Traurig ließ Kondwiramur den geliebten Gatten ziehen.

Auf der Gralsburg

Wieder überließ er dem Pferde den Zügel und ließ sich durch Wildnis und pfadloses Moor tragen. Als der Abend herabdunkelte, kam er an einen See. Dort ankerten Männer in Ufernähe, die auf Fischfang ausgingen und Wasservögel jagten. Parzival rief sie freundlich an. Es war einer unter ihnen, der hob sich durch seine Kleidung auffällig heraus. Er trug eine Pfauenfeder am Hute und auf dem Jagdrock prächtigen Pelzbesatz. Ihn fragte der fahrende Ritter, wo er für die Nacht wohl Herberge finden könne. Mit tiefer Traurigkeit gab der Gefragte Antwort: "Soviel mir bekannt ist, Herr, gibt es in dreißig Meilen rundum keine andere menschliche Behausung als eine feste Burg. Sie liegt dort hinter jenem Felsvorsprung. Wenn Ihr vom Burggraben aus um Einlaß bittet, so wird man Euch die Zugbrücke herablassen."

Der Sprecher war der Burgherr selber.

Parzival folgte der Weisung und wurde gastfrei aufgenommen. Man bereitete ihm ein Bad und reichte ihm weiche Hauskleidung aus Seide. Als dann gemeldet wurde, der Burgherr sei zurückgekehrt, bat man den Gast zum Mahle.

Der Rittersaal erstrahlte in blendender Helle der Kronleuchter und der Kerzen. An den Wänden standen hundert Ruhepolster, die Platz für je vier Ritter boten. In drei marmornen Feuerstätten mitten im Saal strahlte wohlriechendes Holz einen milden Schein aus. Dort hatte sich der Burgherr auf seinem Ruhebett niedergelassen. Er begrüßte den Gast freundlich.

Welch ein Gegensatz war zwischen den beiden! Der kranke Ritter, obwohl in kostbare, pelzbesetzte Gewänder gehüllt, schien noch siecher, sein Antlitz noch gramvoller, als Parzival es am See bemerkt hatte. Und vor ihm stand der strahlende Recke in aller Fülle seiner Jugendkraft und Mannesschönheit, daß alle Ritter voller Bewunderung auf ihn blickten.

Auf einmal öffnete sich eine Tür, und ein Knappe trat ein. In der Hand trug er einen Speer, an dessen Schaft Blut herabtroff. Lautes Wehklagen erscholl nun durch den weiten Saal, als der Knappe mit der blutbedeckten Waffe an allen Rittern vorbeischritt; in tiefer Trauer hielten sie das Haupt gesenkt, bis er den Saal wieder verlassen hatte.

Parzival stand voll Staunen und blickte stumm auf die feierliche Handlung.

Da öffnete sich auf der anderen Seite des Saales eine stählerne Tür, und vier liebliche Jungfrauen, goldene Leuchter in den Händen, kamen herein. Schweigend setzten sie zwei Bänklein von Elfenbein vor dem Burgherrn nieder.

Es folgten vier Frauenpaare, köstlich in grünen Samt gekleidet. Sie trugen Kerzen und legten eine Tischplatte aus funkelndem Granat auf die elfenbeinenen Bänkchen vor den Burgherrn. Schweigend rückten die Jungfrauen dem Siechen den Tisch zurecht, verneigten sich tief und traten zurück.

Wieder öffnete sich die Stahltür: sechs schöne Jungfrauen, silbernes Tafelgeschirr in den Händen, richteten sorgsam den Tisch.

Parzival blickte in wachsendem Staunen auf das wundersame Bild; aber auch er brach mit keinem Worte das feierliche Schweigen, das über dem weiten Saale lag.

Abermals traten sechs Jungfrauen in kostbaren, golddurchwirkten Gewändern hervor. Sie waren das Ehrengeleit für die Königin.

Denn nun erschien die schönste der Schönen. Ihr Antlitz erstrahlte in Schönheit wie die Morgensonne im ersten Frühlicht. Auf grünseidenem Kissen trug sie eine Schale aus wundersam funkelndem Edelstein. Das war der Heilige Gral, der Wunderhort aller Christenheit.

Die Trägerin dieses Heiligtums war des Burgherrn Schwester, Repanse de Schoye; denn des Grals Wunderwesen gebietet, daß nur eine reine Hand ihn berührt. Es ist das heilige Gefäß, aus dem einst Christus beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngern trank und in dem Joseph von Arimathia das Blut des gekreuzigten Heilands auffing, als die rohen Kriegsknechte ihm die Seite öffneten.

Die edle Jungfrau verneigte sich züchtig vor dem königlichen Bruder, setzte das heilige Gefäß vor ihn hin und zog sich mit ihren kerzentragenden Jungfrauen zu den übrigen zurück, die sich je zwölf und zwölf ihr zur Seite reihten.

Nun rüstete man sich zur festlichen Bewirtung der vierhundert Ritter. Knappen trugen hundert Tische herbei, deckten sie mit weißem Linnen und setzten sie vor die Ruhepolster.

Für jeden der Tische standen vier Knappen zur Bedienung bereit. Goldene Gefäße und kostbares Tafelgeschirr wurden auf zierlichen Wagen herbeigeführt. Und jetzt geschah das Wunder: Was jeder der ritterlichen Gäste sich wünschte an Speisen erlesenster Art, das spendete der Heilige Gral, und das wurde nun von den bedienenden Knappen eilfertig herbeigetragen. Und was sie auch zu trinken begehrten, das floß in den ausgestreckten Becher, alles von der Wunderkraft des Grals.

Die edlen Ritter waren beim Heiligen Gral zu Gaste.

Wie staunte Parzival über all diese Wunder! Aber eingedenk der Ritterlehre des edlen Gurnemanz unterließ er jede Frage.

Da brachte ein Knappe auf einen Wink des Burgherrn ein Schwert herbei. Griff und Klinge waren Wunder an kostbarer Arbeit. "Nehmt diese Waffe als mein Gastgeschenk", sagte er zu Parzival; "tragt sie in Ehren, die mir in so manchem Streite zur Seite stand, ehe die tückische Krankheit mich schlug."

Parzival nahm das Schwert entgegen. Daß er nicht den tieferen Sinn der feierlichen Umgebung erkannte! Er ahnte nicht, der junge Tor, daß es in seiner Hand lag, den Gastgeber von aller Last zu befreien! An Parzival lag es, das rechte Wort auszusprechen.

Aber auch jetzt sprach er kein Wort; kein Wort des Dankes oder des Mitleids oder eine Frage nach der Ursache des Leidens kam über seine Lippen.

Da gab der Kranke das Zeichen, das Mahl zu beenden. Eilfertig trugen die Knappen die Tafelgeräte hinaus, und in feierlichem Zuge führte die schöne Königin, geleitet von ihren Ehrenjungfrauen, den Heiligen Gral aus dem Saale.

Parzival schaute dem Kleinod schweigend nach. Da sah er durch die geöffnete Tür einen Greis auf dem Ruhebette liegen; sein Haar war weiß wie kristallner Frühreif. Niemals, so schien es dem jungen Ritter, hatte er solch friedestrahlende Altersschönheit erblickt.

Aber auch jetzt stellte der Jüngling keine Frage.

Wer mochte der ehrwürdige Alte sein?

"Ihr werdet müde sein," wandte sich der Burgherr nun wieder seinem Gaste zu. "Schlafgemach und Nachtlager sind Euch bereitet. So wünsche ich Euch eine gesegnete Nachtruhe!"

Parzival verneigte sich zum Danke züchtig nach Ritterart" aber immer noch blieb er in törichter Verblendung schweigsam. Man führte ihn in eine ganz prächtig hergerichtete Kemenate, in der ein prunkvolles Bett für ihn bereitstand. Ritter, Knappen und edle Jungfrauen wetteiferten darin, ihm zu Diensten zu sein.

Aber die ersehnte Ruhe wollte nicht bei ihm einkehren. Wirre Träume schreckten ihn, Schwertschläge prasselten auf sein Bett, und Ritterscharen sprengten in wildem Turnier über ihn dahin.

Schweißgebadet wachte er auf. Der junge Tag schien schon freundlich zu ihm herein, doch keiner der aufmerksamen Diener zeigte sich. Erschrocken fuhr er auf, blickte sich voll Verwirrung im Raume um und rief nach den Knappen.

Doch niemand war zu seinem Dienste bereit.

Auf dem Teppich vor seinem Bette lag neben seinem Schwerte das Gastgeschenk des Burgherrn, daneben seine Rüstung.

In aller Eile wappnete er sich, band beide Schwerter um und trat auf den Hof. An der Treppe fand er sein Roß; daneben lehnten Schild und Speer.

Doch vergeblich blickte er sich nach den Bewohnern der Burg um; niemand zeigte sich. Auf dem Hofe fand er Erde und Gras von Pferdehufen zertreten.

Das Burgtor stand weit offen, und Spuren vieler Hufe wiesen hinaus. Entschlossen folgte er den Spuren zum Tore hinaus. Kaum aber hatte er die Zugbrücke verlassen, da wurde sie hinter ihm in die Höhe gezogen, und ein Knappe, der sich vorher verborgen gehalten hatte, rief ihm höhnisch nach: "Tölpel wie Euch erlebt man nicht alle Tage! Nach Ritterruhm scheint Euch nicht zu verlangen! Hättet Ihr Euren Mund nur einmal gerührt, um den Herrn zu fragen! Nun habt Ihr alle Ritterehre verspielt!"

Parzival blickte sich bei dieser unerwarteten Beschimpfung ganz erstaunt um und verlangte nach einer Erklärung. Aber der Knappe würdigte ihn keiner Antwort.

In tiefen Gedanken war er den Spuren der Ritter nachgeritten. Aber bald verloren sie sich im dichten Walde.

Da hörte er ganz in der Nähe eine weinende Frauenstimme. Unter einer breitästigen Linde saß eine schöne Frau, in ihren Armen einen toten Ritter.

Jetzt erkannte Parzival die Jungfrau. Es war seine Base Sigune, die immer noch um den erschlagenen Ritter, ihren Verlobten, trauerte. Sie hatte den Leichnam einbalsamieren lassen und bot, die starre Gestalt des Geliebten im Arm, ein Bild des Grauens.

"Du bist Parzival, meiner Mutterschwester Sohn", rief sie ihn an; "sage mir doch, was du in diesem Walde suchst!" Von Sigune erfuhr er das Geheimnis der Gralsburg. Sie ist an aller irdischen Vollkommenheit reich. Aber nicht jedem Sterblichen ist sie zugänglich. Wer sie mit Fleiß sucht, der wird niemals zum Ziele kommen. Wer aber unbewußt und ohne Absicht zu ihr gelangt, dem wird sie sich öffnen, und aller Erdensegen und alle irdische Glückseligkeit wird dem Finder zuteil.

Parzival hörte schweigend zu.

"Du wirst von dieser Burg nichts wissen, Parzival", fuhr Sigune fort. "Munsalwäsche ist ihr Name. Dort regiert als Gralskönig der edle Amfortas, den Gott mit schwerer Krankheit geschlagen hat. Er kann nicht gehen noch reiten noch liegen noch stehen und muß immerfort in einem Sessel lehnen.

Wärest du dorthin gelangt", fuhr Sigune fort, ,"zu Amfortas und seinen trauernden Rittern, so wäre der Burgherr von seinem Leid befreit worden - dir aber winkte höchster Ritterruhm und alle irdische Erfüllung im Leben!"

"Ich war auf der Burg und habe vielerlei Wunder geschaut", entgegnete Parzival düster.

"Du warst auf der Burg! Sahst du den unglückseligen Amfortas?" Sigune war außer sich vor Erregung. "Oh, wenn du sein Leid gewandt hast, Gott wird deine Reise dann segnen! Denn alles, was die Himmelsluft berührt, steht als dann unter deiner Hoheit, und dir ist bestimmt, alle Macht in Fülle zu erwerben!

Wenn du ihn von seinem Siechtum befreit hast", fuhr Sigune fort, "so bist du höchsten Ruhmes wert. Du trägst sein Schwert, so wirst du seinen Segen kennenlernen. Deiner Hand muß alles dienen, was du an Wundern dort auf der Burg erblicktest. Allzeit wirst du der Seligkeit Krone tragen." Parzival sprach kein Wort.

"Hast du der Frage ihr Recht getan?" fuhr sie auf.

"Ich habe nicht gefragt."

"O du Unseliger", rief die Jungfrau voll Entsetzen und bedeckte mit den Händen die Augen. "Du sahst das heilige Wunder und hattest nicht den Mut zu fragen! Geh mir aus den Augen, den das Schicksal verstoßen hat! Der du kein Erbarmen mit der Not deines Gastgebers hattest! Für alle Zeiten hast du dein Lebensglück verscherzt!"

"Sigune", bat er" "ich erkenne meine Verfehlung; ich glaubte, ritterliches Zuchtgebot zu befolgen, so wie Gurnemanz es mich gelehrt hatte, und nun bin ich so sehr schuldig geworden. So zeige mir doch, ich bitte dich, den Weg, wie ich büßen und bessern kann!"

"Es ist zu spät", versetzte sie hart. "Auf Munsalwäsche schwand deine Ritterehre dahin. Fortan wirst du von mir kein Wort mehr hören."

So schied Parzival von ihr.

Einsam setzte Parzival seinen Ritt fort. So sehr hatte ihn das Schicksal mit Schuld überhäuft, daß er den entscheidenden Augenblick seines Ritterlebens verspielt hatte! Hatte er schuldhaft gehandelt, als er durch sein Schweigen unwissend so große Gnade verscherzte?

Da erblickte er vor sich ein seltsames Paar, einen wohlgerüsteten Ritter, dem in demütigem Abstande eine junge Frau folgte. Aber wie jammernswert war ihr Aufzug! Auf elendem, halbverhungertem Klepper hockte sie. Lumpen bedeckten dürftig ihren schönen Leib.

Als Parzival sie mit ritterlichem Anstand grüßte, erkannte sie ihn sofort: "Wieviel Leid habe ich um Euretwillen erleiden müssen," stieß sie hervor; "denn Ihr seid es, dem ich dieses armselige Schicksal verdanken muß."

Es war die unglückliche Frau Jeschute, der Parzival einst in gedankenlosem Übermut Ring und Kuß geraubt hatte und die dafür von ihrem Gemahl, dem Herzog Orilus, so schimpflich behandelt wurde.

Parzival war sofort entschlossen, die Ehre der schönen Frau wiederherzustellen. Schon hatte er den Speer eingelegt und ritt gegen den Herzog an. Wortlos, ohne sich Fehde anzusagen, prallten die beiden Recken aufeinander.

Beide Ritter gaben ihr Bestes. Lanzensplitter stoben, und Funken sprühten unter machtvollen Schwerthieben. Aber der kampferfahrene Herzog war der Urkraft des jungen Ritters nicht gewachsen. Parzival stürzte ihn zu Boden, daß das Blut aus dem Visier sprang. Da mußte sich Orilus ergeben.

"Ich werde dein Leben schonen", rief der junge Sieger, "wenn du mir in die Hand gelobst, dein Ehgemahl wieder in ritterlichen Ehren aufzunehmen und ihr alles zu verzeihen."

Herzog Orilus versprach die geforderte Sühne und nahm seine so lange verstoßene Frau wieder in aller Liebe auf.

Begegnung mit den Artusrittern

Parzival irrte weiter in der unendlichen Waldeinsamkeit umher. Seine Gedanken rissen ihn in Selbstvorwürfen und Zweifeln hin und her. Würde es ihm nun gelingen, die Gralsburg wiederzufinden? Das wußte er aus Sigunes Worten: Kein Sterblicher kann den Weg dorthin aus eigener Kraft erzwingen. Nur wer sich ebenso tapfer wie glaubensstark bewährt" dem weist Gott den Weg.

Eines Morgens, als Parzival sich von dem harten Lager auf dem nackten Erdboden erhob, war ringsum alles verschneit. Da scheuchte ein Falke von König Artus" Rittern, die ganz in der Nähe ihr Zeltlager aufgeschlagen hatten, eine Schar Wildgänse auf. Eine von ihnen schlug er im Fluge unmittelbar über Parzival, daß drei Blutstropfen vor ihm in den Schnee fielen. Drei Tropfen Blut! Sinnend blickte der junge Recke auf das Bild: "Rot und weiß, wer ist es, an den mich diese Farben gemahnen?" Er starrte vor sich hin, und aus den drei Tropfen wurde Kondwiramurs Bild, das liebliche Antlitz seiner Gattin, weiß und rot so wie Milch und Blut.

Er verhielt auf seinem Rosse, die Umgebung versank ihm; mit erhobenem Speere stand er traumverloren da wie schlafend.

In der Nähe lagerte König Artus mit seinen Rittern; er wollte den kühnen Parzival, dessen Ruhm durch alle Lande erklang, für seine Tafelrunde gewinnen. Da kam einer seiner Knappen voller Erregung herbeigestürzt: er hatte einen Ritter zu Pferde angetroffen, der wie ein Standbild im Schnee verhielt. In kecker Streitlust zogen sogleich König Artus' Recken aus, um den Eindringling zu besiegen: Zuerst Segramor, der Neffe der Königin. Ohne die Wirklichkeit recht zu erfassen, schlug Parzival ihn aus dem Sattel. Ebenso erging es Herrn Keye, des Königs Seneschall; ohne es zu wissen, Iöste Parzival damit das Versprechen ein, das er einst Frau Kunneware gegeben hatte.

Erst als Ritter Gawan waffenlos anritt und über die drei Blutstropfen seinen Mantel warf, kehrte Parzival in die Wirklichkeit zurück.

Willig ließ der junge Recke sich in König Artus' Lager führen und in die Tafelrunde aufnehmen. Alle Tischgenossen boten ihm ritterliche Freundschaft an.

Doch da wurde die heitere Festesfreude pIötzlich durch eine grausig-seltsame Erscheinung aufgescheucht.

Auf gespenstigem Maultier, das hoch wie ein Streitroß war und klapperdürr, die Nüstern aufgeschlitzt und mit prunkvollem Zaumzeug, kam eine Jungfrau dahergesprengt. Eine Jungfrau, von welch erschreckendem Aussehen! Eine Nase hatte sie wie ein Hund, ihr Antlitz war struppig, und zwei Eberzähne ragten ihr wohl spannenlang aus dem Munde. Ohren hatte sie wie ein Bär, und unter ihrem Hut, der von golddurchwirkter Seide war, hing ein Zopf von Schweinsborsten bis auf den Rücken des Maultieres herab. Die Fingernägel waren wie die Krallen eines Löwen. Es war Kundrie, ein Bild weiblicher Häßlichkeit trotz der Pracht ihrer prunkvollen Gewänder. Aber sie war hoch gelehrt in aller Weisheit und kundig aller Sprachen - sie war die Fluchbotin des Grals!

"Weh über Euch, König Artus", schrie sie den König gellend an. "Weh über Euch! Der Ruhm Eurer Tafelrunde ist geschändet durch den Unwürdigen, den Ihr in Eurer Mitte aufgenommen habt. Die Ehre Eurer Tafelrunde ist dahin!"

Die Tafelrunde erstarrte in Grauen. Ehe der König ein Wort erwidern konnte, wandte sie sich an Parzival. "Fluch über Euch, Fluch über Eure Jugendschönheit und Eure ritterliche Gestalt! Fluch über Euch!"

Unheimliches Schweigen lag über der Tafelrunde.

"Warum, so frage ich Euch, warum habt Ihr Amfortas, Seufzer und Klagen am See nicht beachtet, warum habt Ihr ihn nicht von seinen Leiden erlöst? Ihr sahet den Heiligen Gral und den blutigen Speer und habt dennoch keine Frage getan? Habt Ihr denn kein Erbarmen mit Amfortas, Not gehabt? Eine einzige Frage hätte all sein Elend wenden und Euch zu aller irdischen Glückseligkeit erheben können! Herzeleides Kind hat den Weg der Ehre verfehlt!"

Kundrie selbst aber hatte vor Erregung jede Fassung verloren. Sie warf Parzival einen haßerfüllten Blick zu und jagte ohne Abschiedsgruß davon. Parzival war bleich vor Schrecken. Sein Herz war zerrissen von Reue und Kummer.

"Durch Unwissenheit habe ich meine große Aufgabe verspielt", sagte er; "nun bleibt mir nichts als die Pflicht, das Versäumte zu sühnen. Ich will nicht ruhen noch rasten, bis ich den Heiligen Gral gefunden und den unglücklichen Amfortas von seinen Qualen erlöst habe!"

Trauernd umringten die Ritter der Tafelrunde ihn zum Abschied, und Artus gelobte ihm ewige Freundschaft. Der edle Gawan, dem er sich in inniger Freundschaft verbunden fühlte, gab ihm eine Wegstrecke das Geleit. "Gott sei mit dir auf deinem Ritte", wünschte er ihm.

"Weh, was ist Gott!" erwiderte Parzival mit Bitterkeit im Herzen. "Wäre er allmächtig, so hätte er mir wohl nicht solche Schande zugefügt. Nun aber bin ich entschlossen, ihm allen Dienst aufzusagen!"

Mit seinem Gotte verfallen, ritt er in die Welt hinaus.

Viele Jahre zog er als fahrender Ritter umher, ohne sein Ziel zu erreichen. In einer Einsiedlerklause traf er schließlich Sigune, seine Base, die dort - ein Bild des Erdenjammers um ihren erschlagenen Verlobten trauerte. Voll Betrübnis vernahm sie, daß Parzival vergeblich den Gral suche. Jeden Samstag, so erzählte sie ihm, erscheine Frau Kundrie, die Gralsbotin, bei ihr und versorge sie mit Nahrung.

Das gab dem jungen Ritter neue Hoffnung. Er folgte der Spur des Maultiers, doch bald verlor sie sich im Gesträuch.

So ging ihm abermals der Gral verloren.

An einem kalten Märzmorgen begegnete ihm in einem riesenhaften Walde ein seltsamer Zug. Barfuß und im Büßergewande kam ein graubärtiger Ritter daher, ihm zur Seite seine Gemahlin und zwei zarte Töchter in gleicher Kleidung; gesenkten Hauptes folgten Ritter und Knappen. Welchen Gegensatz bot der herrliche Recke in seiner strahlenden Rüstung zu dem bußfertigen Aufzug der Barfüßigen! "Ihr tut gar Unrecht, daß Ihr am heiligsten Tage des Jahres im Schmucke Eurer Waffen daherreitet", redete der Alte ihn milde an.

Doch Parzival verstand nicht seinen Tadel. "Was kümmert mich des Jahres oder der Wochen Lauf, was die Namen der Tage? Es gab eine Zeit, da diente ich einem, der heißt Gott. Stets war ich beständig in diesem Dienst und wahrte ihm die Treue. Und er - er entgalt mir's mit Schmach und verhängte schmählichen Spott über mich!"

"Wenn Ihr Christus meint mit Euren Worten, Herr, so versündigt Ihr Euch gar schwer. Denn wisset, daß heute Karfreitag ist, der Tag, an dem unser Heiland für die sündige Menschheit den Kreuzestod erlitt. Achtet die Heiligkeit dieses Tages! Folget uns zur Behausung des frommen Trevrizent. Der kann Euch auf den rechten Weg zurückweisen."

Aber Parzivals Herz war zu verstockt. Er war nicht bereit, dem Rate des Alten zu folgen. Unwillig riß er sein Roß herum und ließ ihm die Zügel. Aber wie staunte er, als er erkennen mußte, daß das edle Pferd eigenwillig den Weg suchte und ihn geradewegs vor Trevrizents Behausung führte.

Der würdige Greis nahm ihn freundlich auf und verwies ihn auf die Güte Gottes. "Ich habe stets gemeint, ihm in Treue zu dienen", sagte Parzival dumpf; ,"aber meine Treue hat mich in tiefstes Leid gestoßen!"

"Denkt Ihr denn" man könne Gottes Liebe und Hilfe erzwingen?" rief Trevrizent. "Wißt Ihr nicht, daß der Herr nur dem sich huldvoll zuneigt, der ihm in Treue dient, ohne Zweifel und Anfechtung? Nur wer gläubig und reinen Herzens ist, wer frei von Hochmut und schwächlichem Zweifel, erscheint des Grals würdig."

Trevrizent redete ihm tröstend zu: "Als erstes sage ich dir: Gott hat dich nicht verlassen. Vertraue ihm mit gläubigem Herzen, so wird er dich aus aller Bedrückung befreien!"

Noch lange saß er im vertrauten Gespräch mit dem Alten, und dessen väterliche Mahnungen wurden ihm wie eine langersehnte Belehrung aus allen Zweifelsgedanken und gaben ihm Trost und Frieden nach der langen Irrfahrt. Als die beiden voneinander schieden, ritt Parzival versöhnt mit seinem Gott und frei von allen Zweifelsqualen neuem Leben entgegen.

Parzivals Berufung

Mannigfache Abenteuer hatte der Held noch zu bestehen, bis ihn der Weg wieder an König Artus' Hof führte. Beim festlichen Mahle feierte man dort die Rückkehr des Helden.

Da geschah es wie einst: auf dem häßlichen Maultier kam die häßliche Jungfrau angesprengt: Kundrie, die Gralsbotin, stand plötzlich wieder vor den Rittern der Tafelrunde!

Doch sie brachte dem leidgeprüften Parzival nicht neuen Fluch, sondern eine herrliche Botschaft: die Zeit seiner Prüfung war vorbei - er war nun zum Gralskönig auserkoren!

Erst jetzt erfuhr Parzival, daß die liebliche Kondwiramur ihm Zwillinge geboren hatte. Sein Sohn Lohengrin würde einst sein Nachfolger als Hüter des Grals sein. In Kundries Begleitung zog Parzival nun zur Gralsburg. Welche Gefühle bestürmten den Auserkorenen, als er den Saal betrat, in dem er einst die entscheidende Wende seines Lebens erlebt hatte!

Im Nebenzimmer lag der sieche Amfortas auf seinem Schmerzenslager. Schreckliche Schmerzen hatte der Todkranke in der langen Zeit durchleiden müssen. Neue Hoffnung ergriff ihn, als er seinen Retter erblickte. "Wie lange habe ich voll Sehnsucht auf dein Kommen gewartet", rief er dem Neffen mit frohem Willkommensgruß zu. "Hilf mir nun, meine Not zu beenden!"

Jungfrauen hatten die segenspendende Schale des Grals enthüllt. Da sprach Parzival ein Gebet, trat dann vor Amfortas und fragte ihn ruhig: "Sag mir, lieber Oheim, woher kommen deine quälenden Schmerzen? Sag mir, wie ich dir helfen kann!"

Das war die erlösende Frage.

Mit verklärtem Gesicht erhob der König sich von seinem Schmerzenslager und umarmte den Neffen. Nach dem heiligen Gebot überreichte er Krone und Herrschaft an den neuen Herrn.

Sogleich ging die Freudenbotschaft an die edle Kondwiramur. Parzival ritt ihr entgegen und traf sie mit den beiden Söhnen Kardeis und Lohengrin auf einer Aue - es war die Stelle, wo er einst traumverloren vor den drei Blutstropfen gestanden hatte. In überströmendem Glück begrüßte er die Geliebte Frau und die zwei Kinder.

So wundersam fügte es das Schicksal.

In ehrenvollem Geleit der Gralsritter zog der junge König mit seiner Gattin und seinem Sohne Lohengrin, dem Gralserben, dann zur Gralsburg hinauf, während Kardeis mit dem Gefolge der Königin in die Heimat zurückkehrte. Es war tiefe Nacht, als das Ehrengeleit auf der Burg eintraf. Doch man hatte Fackeln und Kerzen in solcher Menge anzünden lassen, daß es aus der Ferne schien, die Burg stehe in Flammen.

Im großen Festsaale der Burg saß man dann beim Mahle.

Aber nicht wie einst, da der blutige Speer durch den Saal getragen wurde, herrschte Klage und Trauerlaut; nein Freude lag über dem weiten Saale, seit man aller Sorge ledig war.

Wieder vollzog sich die feierliche Handlung: Die edlen Jungfrauen geleiteten in züchtigem Anstand die schöne Repanse de Schoye, die das Gralsheiligtum trug; die Kämmerer rüsteten die Tische zum Festmahle und zogen auf den Speisewägelchen die kostbaren Goldgefäße herein, die Knappen standen zur Aufwartung bereit.

Und wieder wie damals erwies der Heilige Gral seine Wunderkraft und spendete an kostbarsten Speisen und Getränken, was jeder begehrte.

An der Seite der schönen Kondwiramur aber führte Parzival als Gralskönig viele Jahre die Herrschaft in weiser Ritterschaft und frommer Demut..

 

uf

 




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