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Deutsche Sagen:

Sigfrid und Kriemhild

Am Hofe zu Worms

Im Lande der Burgunden zu Worms

am Rhein herrschte König Gunther mit seinen Brüdern Gernot und Giselher, sie hatten eine Schwester namens Kriemhild, die mit ihrer Mutter Ute am Hofe lebte. Viele Helden warben um die schöne Kriemhild; doch sie wies alle ab, weil sie durch Liebe niemals Leid erfahren wollte, wie ihr ein Traum verkündet hatte. Damals lebte zu Xanten am Niederrhein Sigfrid, der Sohn des Königs Sigmund. Schon in früher Jugend hatte der junge Held sich durch Kühnheit und Kraft Tatenruhm erworben. Einen giftigen Drachen hatte er im Kampfe besiegt, und als er in dessen Blute badete, war seine Haut hörnern geworden, so daß nun keine Waffe ihn verwunden konnte. Dem Zwergenvolke der Nibelungen hatte er einen unermeßlichen Schatz an Gold und Edelsteinen abgewonnen, und in diesem Kampfe hatte er auch eine Tarnkappe erbeutet, die ihn unsichtbar machte, dazu das herrliche Schwert Balmung. Als Sigfrid nun von der schönen Kriemhild hörte, hielt es ihn nicht länger mehr an des Vaters Hof. Mit zwölf seiner Kampfgefährten zog er nach Worms am Rhein, um die liebliche Jungfrau zum Weibe zu gewinnen. Als sie vor die Königsburg kamen, erkannte niemand in Gunthers Gefolge weder die Mannen noch ihren Führer. Da ließ König Gunther den weitgereisten Hagen kommen, doch auch der wußte nicht, wer die Ankömmlinge seien. "Ich möchte wohl glauben, daß es Sigfrid ist", meinte er schließlich, "der Held aus Niederland, der die Söhne des Zwergenkönigs Nibelung erschlagen hat und den Nibelungenhort besitzt. Ich rate, wir sollten ihn gut empfangen." In Ehren nahm man die Gäste auf, und Sigfrid blieb ein Jahr am Hofe zu Worms. Doch die Jungfrau, um deretwillen er gekommen war, bekam er nicht zu Gesicht. Kriemhild aber blickte oft heimlich aus dem Fenster ihres Gemachs, wenn die Recken auf dem Burghofe ihre Kampfspiele trieben, und lobte in vertrautem Kreise den herrlichen Helden. Sigfrid war gern gesehen bei jedermann am Burgundenhofe, und die Gastfreundschaft, die man ihm erwies, entgalt er nach Reckenart, indem er dem König auf seinen Kriegszügen Beistand leistete. Als die Könige von Sachsen und Dänemark das Land der Burgunden bedrohten, verdankte Gunther seinen Sieg allein seinem starken Gast vom Niederrhein, der beide feindliche Könige nach heißem Zweikampf gefangennahm. Als Gunther nach Sigfrids Rückkehr ein prächtiges Fest zur Feier des Sieges veranstaltete, war auch Kriemhild anwesend. Zum erstenmal sah Sigfrid die schöne Jungfrau, der sein ganzes Sehnen galt. Als sie an der Hand ihrer Mutter, der Königin Ute, geleitet von ihren Jungfrauen und hundert Mannen, in den Festsaal trat, verneigte sich Sigfrid in tiefer Ehrerbietung vor den Frauen. Nie in seinem Leben hatte Sigfrid solche Freude empfunden wie in diesem Augenblick, da er Kriemhild an seiner Hand führen durfte und mit ihr durch den Palast schritt. Die Fahrt nach Island Fern über der grauen See, auf der Insel Island, wohnte die schöne Königin Brunhild. Viele begehrten ihre Liebe und freiten um sie, doch Brunhild stellte harte Bedingungen. Wer sich mit ihr vermählen wollte, mußte sie dreifach besiegen: im Speerwurf, im Steinschleudern und im Sprung. Wer auch nur in einem dieser Wettkämpfe unterlag, hatte sein Leben verwirkt. König Gunther wünschte nichts sehnlicher, als die begehrenswerte Königin zum Weibe zu gewinnen. "Wenn du mir beistehst, sie zu erringen", sagte er zu Sigfrid, "so werde auch ich Leben und Ehre für dich wagen." Da antwortete Sigfrid: "Die Fahrt zur Königin Brunhild will ich mit dir wagen" so du mir deine Schwester Kriemhild zum Weibe gibst. Anderen Lohn begehre ich nicht!" Da gelobte ihm Gunther die schöne Kriemhild zur Frau, wenn Brunhild als Königin ins Burgundenland einzöge. Nur der starke Hagen und sein Bruder Dankwart fuhren als Begleiter mit, als Gunther und Sigfrid das Schiff bestiegen, das sie von Worms den Rhein hinab zu Brunhilds Burg Isenstein führen sollte. Zwölf lange Tage und Nächte fuhren die Weggefährten über See. Als sie endlich an Land gingen, führte Sigfrid des Königs Roß am Zügel, damit man ihn für Gunthers Lehnsmann halte. Sie bestiegen ihre Rosse und ritten, in schwarzen Rüstungen und in prächtiger Wehr, zur Burg. Die Tore wurden ihnen weit aufgetan, und Brunhilds Mannen eilten ihnen entgegen, sie zu empfangen. Brunhild hieß sie freundlich willkommen. Den kühnen Sigfrid, den sie bereits kannte, begrüßte sie vor König Gunther. Am nächsten Tage begannen die Kampfspiele. Gunther war nicht stark genug, die schweren Waffen, die Brunhild ihm reichen ließ, zu führen; doch Sigfrid, unsichtbar durch seine Tarnkappe, übernahm den Wettkampf, während Gunther zum Schein die Gebärden ausführte. Mit übermenschlicher Kraft faßte Brunhild den Schild, den vier Männer in die Kampfhahn getragen hatten, nahm den schweren Wurfspeer und schleuderte ihn auf ihren Gegner. Die Waffe drang durch den Schild, so daß Gunther strauchelte und Sigfrid das Blut aus dem Munde brach. Trotzdem ermannte sich Sigfrid sogleich, er faßte den Speer und warf ihn mit solcher Wucht zurück, daß Brunhild zu Boden stürzte. Doch schnell sprang Brunhild wieder auf die Füße, sie ergriff einen mächtigen Stein und schleuderte ihn an die zwölf Klafter weit, und in voller Waffenrüstung sprang sie über den Wurf hinaus. Doch wieder zeigte sich Sigfrid, unter der Tarnkappe verborgen, ihr überlegen. Er warf den Stein noch weiter als Brunhild und sprang über das Ziel hinaus. Durch die Tarnkappe hatte er die Kraft, König Gunther dabei mit sich zu tragen. Da mußte Brunhild sich besiegt bekennen. "Tretet herzu, ihr Mannen", gebot sie ihren Recken, "und huldigt eurem neuen Herrn!" So konnte Gunther die stolze Brunhild als seine Gemahlin heimführen, und mit großem Prunk wurde zu Worms die Doppelhochzeit gefeiert. Aber als Brunhild die liebliche Kriemhild beim festlichen Mahle an Sigfrids Seite sitzen sah, vergoß sie bittere Tränen. "Es betrübt mich sehr'', versetzte sie auf Gunthers Frage, "daß du deine Schwester einem deiner Dienstmannen zur Frau gegeben hast!" Vergeblich suchte der König sie zu beschwichtigen. Aber nicht eher wollte sie ihm als Gattin angehören, als bis sie genau wüßte, wie alles sich zugetragen habe. Als Gunther am Abend sein Weib umarmen wollte, wehrte sich Brunhild, fesselte ihm mit ihrem Gürtel Füße und Hände und hängte den Wehrlosen an einen starken Nagel hoch an der Wand. Dort mußte er bleiben bis in die Morgenstunden. Tags darauf erfuhr Sigfrid von der unwürdigen Behandlung, die Gunther hatte auf sich nehmen müssen. "Ich werde dir helfen", versprach er dem Freunde, und mit Hilfe seiner Tarnkappe stand er Gunther bei, die Widerstrebende zu bezwingen. Er nahm Brunhilds Gürtel und einen Ring, den er ihr heimlich vom Finger zog, mit sich, als er sie verließ. Nicht lange danach zog Sigfrid mit Kriemhild, seinem jungen Weibe, in seine Heimat nach Xanten am Niederrhein und bestieg den Thron seines Vaters Sigmund. Der Streit der Königinnen Zehn Jahre gingen ins Land, Brunhild aber sann über vieles nach. "Warum leistet Sigfrid, der doch dein Lehnsmann ist, dir keine Dienste?" fragte Brunhild ihren Gatten immer wieder. "Warum weilt er ständig in der Ferne und stellt sich niemals an deinem Hofe ein?" Vergeblich suchte Gunther Ausflüchte. Um ihren Willen dennoch durchzusetzen, beredete sie den königlichen Gemahl, zur nächsten Sonnenwende ein großes Fest zu bereiten. Auch Sigfrid und Kriemhild, begleitet von dem greisen Sigmund, folgten der Einladung König Gunthers, zusammen mit vielen Recken ihres Landes. Trotz der Festesfreude aber, die alle erfüllte, sah Brunhild voll Neid auf Sigfrids und Kriemhilds großes Gefolge, und sie wunderte sich, daß ein Lehnsmann König Gunthers zu so großem Ansehen gelangen könne. Unwillig hörte sie Kriemhilds Worte, als beide Königinnen am elften Tage vor dem Vespergottesdienst zusammensaßen. "Sieh doch nur", rief Kriemhild glücklich, "wie herrlich Sigfrid vor allen Helden einherschreitet und wie niemand ihm im Kampfe ebenbürtig ist!'' "Er ist doch nur meines Gatten Eigenmann'', unterbrach Brunhild sie, "und deshalb mußt du Gunther den Vorrang geben!" Kriemhild wollte solchen Vorwurf nicht gelten lassen; immer heftiger wurde der Wortstreit, und die Frauen trennten sich im Zorn. Als die Stunde des Gottesdienstes gekommen war, ging jede der beiden Königinnen, die sonst stets einträchtig beisammen gesehen wurden, allein mit ihren Jungfrauen zum Münster. "Bleib stehen, Kriemhild!" rief Brunhild scharf. "Ich habe den Vortritt! Die Frau eines Dienstmannes darf niemals vor ihres Königs Gattin gehen!" Da entbrannte wilder Haß in Kriemhilds Herzen. Sie warf Brunhild vor, nicht Gunther, sondern Sigfrid habe sie bezwungen. In bitteren Tränen stand Brunhild da, während Kriemhild erhobenen Hauptes an ihr vorbei ins Münster schritt. Nach dem Messedienst verlangte die tiefgekränkte Königin Beweise für Kriemhilds beleidigende Worte. Da zeigte diese ihr Gürtel und Ring, die Sigfrid ihr in der Nacht der Vermählung genommen hatte. Hagen von Tronje aber, der Brunhild weinen sah, suchte seine Herrin zu beruhigen und gelobte, die bittere Schmach, die ihr angetan war, an Sigfrid zu rächen, der das Geheimnis von Gunthers Brautwerbung an seine Gattin preisgegeben hatte. Falsche Boten, die man bestellt hatte, erschienen in Worms, um neuen Krieg der Dänen und Sachsen anzusagen. Sigfrid erbot sich, mit den Burgunden in den Kampf zu ziehen. Als das Heer zum Aufbruch bereitstand, begab sich Hagen zu Kriemhild, um Abschied von ihr zu nehmen. "Laß Sigfrid nicht entgelten, was ich Brunhild angetan habe", bat ihn die schöne Frau, "Iängst quält mich die Reue." Da versprach Hagen, über Sigfrids Leben zu wachen. "An einer Stelle ist er verwundbar", sagte Kriemhild in arglosem Vertrauen, und sie verriet Hagen, was sonst niemand wußte. Als Sigfrid sich im Blute des erschlagenen Drachen gebadet hatte, war ihm ein Lindenblatt zwischen die Schultern gefallen, so daß er an dieser Stelle verwundbar blieb, weil nur hier seine Haut nicht hörnern geworden war. Da bat Hagen die Königin, die verwundbare Stelle durch ein auf das Gewand genähtes Kreuz zu bezeichnen, damit er ihren Gatten recht schützen könne. Sigfrids Tod Kaum war Sigfrid mit seinen Mannen zum Kampfe ausgezogen, da kamen neue Boten, die den Krieg widerriefen. Nach der Rückkehr an den Hof zu Worms beschloß man, in den Wasgenwald zu ziehen, um eine große Jagd abzuhalten. Unter Tränen nahm Kriemhild Abschied von dem geliebten Gatten. Sie hatte geträumt, wie zwei wilde Eber Sigfrid anfielen und das Gras sich vom Blute rötete. Sigfrid tröstete die schöne Kriemhild mit freundlichen Worten, umarmte und küßte sie und ritt unbekümmert mit dem Gefolge davon. Auf der Jagd machte Sigfrid von allen die reichste Beute, er fing sogar mit eigener Hand einen Bären und brachte ihn, als das Horn das Ende der Jagd verkündete, lebend und gefesselt zum Sammelplatz. Nach den Mühen der Jagd setzte man sich zum Mahle. Speisen in reicher Auswahl standen bereit, doch es fehlte der Trank. Irrtümlich, so sagte Hagen entschuldigend, sei der Wein in den Spessart geschickt worden. "Doch ich weiß hier ganz in der Nähe eine Quelle, die im Schatten einer Linde liegt", fuhr er fort. "Wollen wir nicht dorthin um die Wette laufen?" Gunther und Sigfrid waren einverstanden. Wie Panther liefen sie durch den Klee. Sigfrid trug Wehr und Waffen bei sich, und dennoch erreichte er den Brunnen als erster. Doch er trank nicht vor König Gunther. Dem König ließ er den Vortritt. Dann erst beugte er sich selbst über die Quelle, um seinen Durst zu löschen. Da ergriff Hagen den Speer, den Sigfrid arglos an die Linde gelehnt hatte, und stieß ihn dem Helden in den Rücken. Mit Bedacht traf er ihn genau an der Stelle, die Kriemhild durch das aufgenähte Kreuz kenntlich gemacht hatte. Das Blut sprang sogleich so heftig aus der Wunde, daß auch Hagen befleckt wurde. Da ließ er den Speer im Rücken Sigfrids stecken und wandte sich zur Flucht. Als Sigfrid die schwere Wunde fühlte, sprang er, rasend vor Wut, auf und stürzte dem Mörder nach. Hagen floh davon, wie er noch vor keinem Manne gelaufen war. Doch Sigfrid erreichte ihn, und mit dem Schilde - der Tronjer hatte mit Vorbedacht alle Waffen an der Linde entfernt- schlug Sigfrid auf Hagen ein, so daß dieser zu Boden stürzte. Doch dann entwich alle Farbe aus dem Antlitz des todwunden Helden. Seine Kraft verließ ihn, und sterbend sank er ins Gras. Kriemhilds Trauer In der Nacht brachte man den erschlagenen Recken über den Rhein nach Worms zurück. Hagen ließ den Leichnam vor Kriemhilds Kammer tragen und dort niederlegen. Als beim Messeläuten in früher Morgenstunde der Kämmerer kam, um Kriemhild auf ihrem Wege zum Münster zu leuchten, entdeckte er als erster den Toten. "Herrin", meldete er ihr entsetzt, "draußen liegt ein toter Recke!" Kriemhild begann sogleich laut zu klagen; denn sie erkannte die grausige Wahrheit, noch ehe sie den erschlagenen Gatten gesehen hatte. Als man ihr den Toten wies, sank sie ohnmächtig zu Boden. Voller Bestürzung eilte der greise König Sigmund herbei, und bald hallte die Burg wider von der Klage um den herrlichen Helden. Sigfrids Mannen verlangten Rache, und auch König Sigmund war bereit zu kämpfen. Doch Kriemhild bat, von diesem Vorhaben abzustehen und einen besseren Zeitpunkt abzuwarten. Sie wollte nicht, daß Sigfrids Mannen sich gegen die Übermacht der Burgunden nutzlos opferten. Sigfrids Leichnam wurde im Münster aufgebahrt. Als Gunther mit Hagen an die Bahre trat, erhob er laute Klage. "Räuber haben den Helden im Walde erschlagen", sagte er. "Wollt ihr eure Unschuld erweisen", erwiderte Kriemhild, "so tretet nahe herzu!" Gunther folgte der Aufforderung. Doch als Hagen an die Bahre trat, brach die Wunde des Toten auf und begann zu bluten. Jetzt hatte Kriemhild die Bestätigung, wer der Mörder war. Drei Tage und drei Nächte wachte sie an Sigfrids Leiche; aber vergebens hoffte sie, daß der Tod sie zu sich nehmen würde. Mit großen Ehren wurde Sigfrid zu Grabe getragen. Bevor der Tote ins Grab gesenkt wurde, ließ Kriemhild den Sarg noch einmal öffnen, so schwer fiel ihr die Trennung von dem geliebten Gatten. Nachdem alles vollbracht war, kehrte König Sigmund in sein verwaistes Königreich zurück. Kriemhild aber blieb in Worms; denn sie wollte täglich am Grabe des geliebten Gatten sein. Jahrelang sprach sie kein Wort mit König Gunther, ihrem Bruder, und Hagen, ihren Feind, sah sie niemals. Erst Gernots und Giselhers Zureden konnten sie bestimmen, mit Gunther Frieden zu schließen. Auf Gunthers Bitte ließ die Königin später den Nibelungenhort, den Sigfrid einst dem Zwergenkönig abgewonnen und ihr als Morgengabe übereignet hatte, nach Worms bringen. Freigebig teilte Kriemhild nun aus ihrem unermeßlichen Schatz Gaben aus unter die Armen. Da Hagen fürchtete, sie könne dadurch einen zu großen Anhang im Volke gewinnen, erwirkte er es, daß man ihr die Schlüssel zur Schatzkammer wegnahm. Kriemhild zürnte sehr darüber und beklagte sich bitter bei ihrem Bruder über die Gewalt, die ihr angetan ward. Hagen aber nahm entschlossen den Schatz an sich und versenkte ihn in den Rhein. Kriemhilds Vermählung Dreizehn Jahre hatte Kriemhild um Sigfrids Tod getrauert. Da erschien eines Tages am Hofe zu Worms der Markgraf Rüdeger von Bechelaren mit prächtigem Geleite und überbrachte eine Botschaft von König Etzel. "Ich komme von König Etzel aus dem Hunnenlande", sprach er zu Kriemhild. "Frau Helche ist gestorben, und nun wagt es der mächtige König, um dich, edle Herrin, zu werben. In seinem Namen bitte ich um deine Hand.'' Gunther und auch seinen Brüdern war dieser Antrag hoch willkommen; sie wünschten sehr, ihre schöne Schwester möchte sich dem Leben wieder zuwenden. Nur Hagen erhob Widerspruch und warnte, Kriemhild mit König Etzel zu vermählen; denn er fürchtete, Kriemhild werde ihre neue Macht ausnützen und für das ihr angetane Leid an den Burgunden Rache nehmen. Lange widerstrebte die schöne Kriemhild der Werbung: "Mir geziemt nur zu weinen und weiter nichts'', sagte sie. Doch als Rüdeger ihr gelobte, jedes Leid, das ihr widerfahre, blutig zu rächen, gab sie nach langem Zögern ihr Jawort zum neuen Ehebund mit König Etzel. Mit ihrem Gefolge und unter dem Schutze Markgraf Rüdegers zog Kriemhild ins Hunnenland. König Etzel kam ihr bei Tulln entgegen mit allen Rittern, Heiden und Christen, die an seinem Hofe dienten. An einem Pfingsttage wurde in Wien die prunkvolle Hochzeit, die siebzehn Tage währte, gefeiert, und dann fuhr das Paar die Donau hinab in Etzels Reich. Kriemhild lebte in glücklicher Ehe mit dem mächtigen Hunnenkönig und schenkte ihm bald einen Sohn, der Ortlieb genannt wurde. Aber auch im Glück verließ sie nie der Gedanke an Sigfrids Tod und an die Rache, die sie geschworen hatte. Viele Jahre waren vergangen, da klagte Kriemhild eines Nachts in vertrautem Gespräch ihrem Gatten, daß sie nie ihre Brüder und Verwandten bei sich sehen könne. Gerne versprach König Etzel, ihren Wunsch zu erfüllen. So erschienen denn Etzels Sendboten am Königshofe zu Worms und luden Gunther und seine Mannen auf die nächste Sonnenwende zum Fest an Etzels Hof. Die Burgunden am Hunnenhofe Der Tronjer riet ab, der Einladung des Hunnenkönigs zu folgen, da er wußte, daß Kriemhild unversöhnlich war in ihrem Hasse. Doch als ihre Brüder Gernot und der junge Giselher ihm Furcht vorwarfen, erklärte er sich zur Mitfahrt bereit und versprach, ihnen den Weg zu weisen. Durch Ostfranken ging die reisige Fahrt bis an die Donau, sodann durch Baiernland über Passau nach Bechelaren, wo der Markgraf Rüdeger lebte. Mit seiner Hausfrau Gotelind nahm er die Burgunden in herzlicher Gastfreundschaft auf und beschenkte sie reichlich. Giselher, der Junge, verlobte sich mit Dietlind, der lieblichen Tochter des Markgrafen. Rüdeger selbst geleitete mit fünfhundert Mannen die Burgunden zum Feste an den Hunnenhof. Dietrich von Bern, der an Etzels Hofe lebte, ritt mit seinen Recken den Gästen entgegen. Als er Hagen die Hand zum Gruße bot, raunte er ihm zu: "Seid auf der Hut; denn Kriemhild, unsere Königin, weint noch jeden Morgen um Sigfrid!'' Da wußten auch die Brüder Kriemhilds, daß den Burgunden schwere Gefahr drohte. Trotzig ritten die Burgunden an Etzels Hof ein. Kriemhild begrüßte zuerst den jungen Giselher, ihren Lieblingsbruder, der als einziger sie umarmte und küßte. "Habt Ihr mir den Nibelungenhort mitgebracht?" fragte sie Hagen, ohne ihn willkommen zu heißen. "Ich hatte an Schild und Brünne, an Helm und Schwert genug zu tragen", versetzte der Held in bitterem Hohn. Und auch als sie ihre Gäste aufforderte, die Waffen abzulegen, gab Hagen ihr höhnische Antwort. Da erkannte sie, daß man die Burgunden gewarnt hatte. "Wüßte ich, wer es getan hat, der sollte es mir mit dem Tode büßen!" rief sie voller Zorn. Doch ebenso zornig bekannte Dietrich von Bern sich als Warner. Da schämte die Königin sich und schwieg. Denn sie fürchtete Dietrich sehr. Während die wegmüden burgundischen Recken sich ausruhten, übernahm Hagen von Tronje mit Volker, dem wehrhaften Sänger, die Schildwacht. Die beiden Recken setzten sich Kriemhilds Kemenate gegenüber auf eine Bank. Als die Königin die beiden vom Fenster aus sah, wurde sie durch Hagens Anblick an ihren Kummer gemahnt, und sie flehte Etzels Mannen mit dringenden Bitten an, sie an Hagen zu rächen. Sechzig von ihnen rüsteten sich. "Ihr seid zu wenige!" rief aber Kriemhild. "So leicht ist das Spiel nicht!" Da wappneten sich vierhundert. Die Krone auf dem Haupte, schritt Kriemhild mit dieser Schar hinab in den Hof. Hagen legte, als er die Königin kommen sah, sein Schwert, an dessen Knauf ein Edelstein glänzte, über die Knie. Kriemhild wußte, es war Sigfrids Waffe. Ohne Furcht saßen die beiden Recken da. Keiner erhob sich, als die Königin vor sie hintrat. Sie fragte Hagen, warum er ungeladen an den Hunnenhof gekommen sei. Doch der finstere Recke blieb ihr die Antwort nicht schuldig: "Drei Könige hat man hierher zu Gaste geladen, das sind meine Herren. Wenn meine Herren ausziehen, so fehle ich nie, und wer sie einlädt, der lädt auch mich ein!" Da fuhr es aus Kriemhild heraus: "Sagt an, warum habt Ihr die Tat vollbracht, um die ich euch hasse? Ihr habt Sigfrid erschlagen, meinen geliebten, edlen Mann!" "Genug des Geredes!" rief der grimme Tronjer. "Ich bin es, Hagen, der ihn erschlagen hat. Er mußte entgelten, daß Frau Kriemhild die schöne Brunhild schmähte." Furchtlos blickte er sich im Kreise um, als fordere er die Hunnen zum Kampfe auf. Doch diese sahen einander an und zogen sich zurück; so sehr fürchteten sie den gewaltigen Helden. König Etzel wußte nichts von diesem Zusammenstoß und bewirtete die Gäste aus dem Burgundenland am nächsten Tage aufs beste. Zur Nachtruhe ließ er sie in einen weiten Saal führen, wo man ihnen bequeme Lager bereitgestellt hatte. Wieder hielten Hagen und Volker vor dem Hause Wacht. Der schwertgewaltige Sänger nahm seine Fidel und ließ die Saiten erklingen, daß die Recken im Saale trotz aller Sorgen in erquickenden Schlummer sanken. Mitten in der Nacht sahen die Wächter vor dem Saal Helme und Waffen im Hofe blinken. Es waren Kriemhilds Mannen, die einen Überfall auf die Schlafenden planten. Doch als sie die Tür in sicherer Hut sahen, kehrten sie um; bittere Scheltworte gab Volker, der Sänger, ihnen mit auf den Weg. Der Entscheidungskampf In der Frühe, als die Glocken zur Messe läuteten, riet Hagen seinen Waffengefährten, statt der seidenen Gewänder den Harnisch anzulegen und sich zu wappnen; denn auf Kampf müsse man vorbereitet sein. Etzel, der immer noch arglos war, fragte, als er die Gäste in Waffen sah, unwillig, ob man ihnen etwa ein Leid zugefügt habe. Da verschwieg Hagen seinen Argwohn. "Meine Herren haben die Sitte", versetzte er, "bei allen Festen drei Tage gewappnet zu gehen." Vergeblich wandte sich Kriemhild, ehe man sich zu Tische setzte, an Dietrich um Hilfe; der edle Held wies es weit von sich, das Gastrecht zu verletzen. Mehr Gehör fand sie bei Etzels Bruder Blödelin, dem sie reichen Lohn versprach. Mit tausend Mann drang er in das Gästehaus ein, wo Hagens Bruder Dankwart, König Gunthers Marschalk, mit seinen Knechten bei Tische saß. "Endlich können wir an den Burgunden Rache nehmen! Ihr müßt nun entgelten, daß Hagen Sigfrid erschlagen hat", begann er unvermittelt und drang auf Dankwart ein. Da sprang dieser vom Tische auf und führte einen so schweren Schwertschlag, daß Blödelin,s Haupt ihm vor die Füße rollte. Ein furchtbarer Kampf hub an. Mehr als die Hälfte der Hunnen fanden den Tod. Als Etzels Ritter von Blödelins Tode hörten, wappneten sie sich ohne Wissen des Königs, und nicht eher endete das wütende Morden, als bis alle Knechte der Burgunden tot am Boden lagen. Dankwart allein bahnte sich eine Gasse durch die Hunnenkrieger und gelangte in den Saal, wo die Herren beim Festmahl saßen. Das blutige Schwert in der Faust, trat er in den Saal: "Alle Ritter und Knechte liegen erschlagen in ihrer Herberge!" rief er laut. Entsetzt vernahmen die Burgunden seine Worte. "Verwahret die Tür!" rief Hagen, als er den Hergang vernommen hatte, und nun erhob sich ein grausiges Gemetzel. Der Tronjer erschlug Ortlieb, Kriemhilds Sohn, daß sein Haupt in den Schoß der Königin sprang, dazu den Erzieher des Kindes. Vergeblich mühte sich Gunther mit seinen Brüdern, den Streit zu schlichten; dann mußten sie jedoch Hagen zu Hilfe eilen. In ihrer Not bat Kriemhild den starken Dietrich um Beistand. Doch der wollte nichts als freien Abzug für sich und seine Mannen. Man gewährte ihm die Bitte. Da nahm der Berner die Königin und König Etzel bei der Hand und verließ mit seinen sechshundert Recken den Saal. Auch Markgraf Rüdeger bat, ihn mit seinen Mannen ziehen zu lassen. Das gestand ihm Giselher, der mit des Markgrafen Tochter verlobt war, mit freundlichen Worten zu. Wer dann noch von den Hunnen im Saal verblieb, fand erbarmungslos den Tod. Die Erschlagenen warf man über die Stiege hinab. Vor dem Hause drängten sich viele bewaffnete Hunnen. Hagen und Volker spotteten verächtlich über ihre Feigheit. "Etzels Schild voll von rotem Golde biete ich dem als Preis, der mir Hagens Haupt bringt!" rief Kriemhild; doch ihre Worte fanden kein Gehör. Kein Hunne wagte den grimmen Helden im Kampfe zu bestehen. Schließlich ließen sich drei Recken, die an Etzels Hofe dienten, erbitten. Es waren Hawart von Dänemark, sein Markgraf Iring und der Landgraf Irnfried von Thüringen. Aber alle drei erlagen nacheinander dem Schwert der Burgunden. Dann wurde es still im Saale. Auf den Toten sitzend, suchten die Burgunden Ruhe nach dem furchtbaren Kampf. Doch noch vor Abend standen wiederum viele Hunnen zum Kampfe bereit und stürmten den Saal. Bis in die Nacht hinein dauerte die erbitterte Schlacht. Vergeblich versuchten die Könige, noch Sühne zu erlangen. Doch Kriemhild verlangte, daß Hagen ihr ausgeliefert werde. Dann wollte sie den Brüdern das Leben schenken. "Niemand wird solcher Untreue fähig sein", antwortete Giselher. ,"Deshalb müssen wir sterben. Wer mit uns kämpfen will, der findet uns bereit!" Da ließ Kriemhild den mächtigen Saalbau an allen vier Ecken anzünden. Vom Winde entfacht, ergriff das Feuer das ganze Haus, und glühende Asche fiel dicht auf die Helden nieder. Mit den Schilden schützten sie sich und versuchten, die Feuerbrände in dem Blut der Erschlagenen zu löschen. Unerträglich war die Qual, die Rauch und Hitze und Durst ihnen zufügten. Noch sechshundert Burgunden sahen die Morgenröte und spürten den kühlen Morgenwind, der ihnen Linderung gab. Dann begann der Kampf von neuem. Kriemhild ließ Gold in Schilden herbeitragen, die Streiter zu entlohnen. Auf den Knien flehte das Königspaar den Markgrafen Rüdeger um Hilfe an. Kriemhild mahnte ihn an sein Wort, das er ihr bei der Werbung gegeben hatte. Schwere Not war für den ehrlichen Recken der Zwiespalt im Herzen. Durfte er an den Gastfreunden, die er seinem Herrn zugeführt hatte, Untreue üben? Mußte er nicht den Schwur halten, den er einst Kriemhild bei seiner Werbung geleistet hatte? Rüdeger erkannte, daß er seine Ehre nicht mehr retten könne, gleichviel, wie er sich entschied; da ließ er seine Mannen sich zum Kampfe rüsten. Als Giselher den Markgrafen kommen sah, war er voller Freude; denn nicht anders dachte er, als daß Rüdeger den Frieden brächte. Dieser stellte jedoch den Schild vor die Füße und kündigte den Burgunden die Freundschaft auf. Vergeblich mahnte ihn Gunther, der alten Liebe und Treue zu gedenken. "Wollte Gott, ihr wäret am Rhein und ich wäre in Ehren tot!" antwortete Rüdeger. Noch nie hatten Helden von einem Freunde solche Not erfahren müssen! Schon hoben sie die Schilde zu dem unausweichlichen Kampf, da gebot Hagen noch einmal Einhalt. Der Schild, den Frau Gotlind ihm als Gastgeschenk überreicht hatte, war zerhauen. Er bat Rüdeger daher um einen neuen, und der Markgraf gab ihm den eigenen. Das war der letzte Freundesdienst, den er leisten konnte. Hagen und Volker gelobten, Rüdeger im Streite nicht zu berühren, und wenn er alle Burgunden erschlüge. Dann stürmte Rüdeger mit den Seinen in den Saal. Viele der Burgunden sanken von den Streichen des Markgrafen dahin. Das konnte Gernot nicht mehr länger mit ansehen. Er forderte Rüdeger zum Kampfe und empfing von dessen Hand die tödliche Wunde. Doch mit letzter Kraft streckte er den Gegner mit dem Schwerte, Rüdegers Gastgeschenk, nieder. So ereilte beide zugleich der Tod. In wilder Wut übten die Burgunden ihre Rache, und nicht einer von Rüdegers Mannen kam mit dem Leben davon. Laute Klage erhob sich in Etzels Palast über Rüdegers Tod. Einer von Dietrichs Recken überbrachte seinem Herrn die traurige Kunde. Der gebot seinem Waffenmeister Hildebrand, die Burgunden nach dem Hergang zu befragen. Sogleich rüsteten sich ohne Dietrichs Wissen alle seine Recken, um Hildebrand zu begleiten. Als Hagen ihnen den Ausgang des Kampfes bestätigte, beklagten Dietrichs Mannen laut den Tod des Freundes. "Gebt uns seinen Leichnam heraus!" bat Hildebrand. "Wir wollen ihm nach seinem Tode die Treue entgelten, die er uns stets bezeugt hat." Gunther wollte zustimmen, doch die Burgunden gerieten darüber in einen Wortwechsel mit Dietrichs Mannen. "Holt ihn euch doch!" rief Volker voller Spott, "das wäre erst der richtige Dank, den ihr Rüdeger erweisen könnt!" Da ließ sich Wolfhart, Hildebrands Neffe, nicht länger halten und drang in den Saal, ihm folgten Dietrichs Mannen. Vergeblich suchte Meister Hildebrand den Streit zu schlichten. In dem Kampfe, der nun entbrannte, fanden die besten der burgundischen Recken den Tod. Volker, der Dietrichs Neffen erschlagen hatte, fiel von Hildebrands Schwert. Auch Dankwart fand den Tod. Der junge Giselher und Wolfhart töteten sich im Kampfe gegenseitig. Nun lebte von den Burgunden niemand mehr als Gunther und Hagen. Von Dietrichs Mannen war nur noch der starke Waffenmeister Hildebrand, der sich vor Hagens Waffe retten konnte, am Leben geblieben. Blutüberströmt trat er vor seinen Herrn. "Ich ganz allein bin übrig'", sagte Hildebrand. Von Gram und Entsetzen wurde Dietrich ergriffen, als er vom Tode all seiner Mannen erfuhr. Noch niemals in seinem Leben war ihm so schlimme Kunde geworden. Stumm nahm er Rüstung und Schwert, und Hildebrand half ihm, sich zu wappnen. So ging Dietrich vor den Saal, um von Gunther und Hagen Sühne zu verlangen. "Ergebt euch mir als Geiseln", forderte er, "so werde ich euch selber heimgeleiten ins Burgundenland." Hagen lehnte solches Verlangen schroff ab und sprach: "Das wolle Gott im Himmel nicht, daß zwei gewappnete, freie Männer sich dir ergeben." Da griff der Berner mit dem Schwerte an. Der lange Kampf hatte Hagen ermattet, und so mußte er dem starken Dietrich erliegen. Der verwundete ihn schwer; aber den Todesstreich führte er nicht. Er umschlang den Tronjer mit den Armen, band ihn und führte ihn zu Kriemhild. Wie freute sich die Königin, als sie Hagen gebunden vor sich sah, und sie versprach, Dietrich diesen Dienst nie zu vergessen. Der Berner aber verlangte, daß sie Hagen am Leben lasse. Die Königin sagte es zu und ließ ihren Gefangenen in den Kerker führen, während Dietrich in den Saal zurückeilte, um Gunther zum Kampfe zu stellen. Nach heißem Ringen bezwang er ihn und führte auch ihn, den König, gebunden zu Kriemhild. "Handelt gut an den beiden und gewährt ihnen Eure Gnade" mahnte Dietrich die Königin, und sie versprach es wieder. Aber kalt blieb ihr Herz. Sie trat in Hagens Kerker, mit stählernem Blick, und fragte den Helden nach dem Nibelungenhort. Sie gelobte ihm, wenn auch mit feindseligen Worten, sein Leben, wenn er den Schatz herausgebe. Doch Hagen wehrte ab. Niemals werde er die Stelle im Rhein verraten und den Hort ausliefern, solange einer seiner Herren am Leben sei. Da ließ Kriemhild ihrem Bruder das Haupt abschlagen und trug es an den Haaren zu Hagen. Zum ersten Male in seinem Leben zeigte sich der grimme Held gebrochen: "Nun ist nach deinem Willen der edle König Gunther tot und ebenso Giselher und Gernot! Den Schatz, den weiß nun niemand als Gott und ich. Und dir soll er auf ewig, du Teufelin, verborgen bleiben!" Da zog Kriemhild aus der Scheide das Schwert, das Hagen trug. Es war Sigfrids Schwert Balmung. Sie hob es hoch empor und schlug Hagen das Haupt ab. Der alte Hildebrand, der Waffenmeister, sprang herzu. Als er sah, daß der beste Held, der je ein Schwert getragen hatte, von Weibes Hand erschlagen war, zog er in jähem Zorne sein Schwert und durchbohrte Kriemhild, daß sie entseelt zu Boden sank. So endete das Fest am Hunnenhofe, und in einsamem Schmerze blieben Etzel und Dietrich unter allen zurück. Trauer breitete sich aus in Etzels Reich und pflanzte sich fort bis ins Land der Burgunden. Das stolze Königsgeschlecht zu Worms bezahlte den begangenen Frevel mit dem eigenen Untergang. Der wilde Brand, den der Mord an dem tapferen Sigfrid entflammte, hatte schonungslos Schuldige und Unschuldige zugleich hinweggerafft.

 

 

 

Tannhäuser

Als unter der Herrschaft der Staufenkaiser das Reich sich von der Elbe bis in den fernsten Teil der italischen Halbinsel erstreckte, standen die schönen Künste in hoher Blüte. Minnesänger zogen von Burg zu Burg und fanden gastliche Aufnahme. Damals lebte im Österreichischen der Herr von Tannhäuser, ein Ritter aus altem Geschlecht. Als Lehnsmann des Grafen war er im Kaiserheere auf dem Kreuzzug mit ins Heilige Land gezogen, doch unter dem ritterlichen Panzer schlug das Herz des Sängers, und mehr als ritterliches Leben behagte ihm das freie, ungebundene Dasein des fahrenden Ritters, der seine Lieder zum Lobe von Frauenschönheit und züchtiger Minne, von Waffenlärm und Männerstreit durch die Lande trägt. Wo er als Gast einkehrte, wurde seine Kunst von schönen Frauen und edlen Herren wohl aufgenommen.

Doch längst war ruchbar geworden, daß der Tannhäuser von leichter und lockerer Wesensart war, und man wußte, er war ein Ritter Windbeutel, der das Geld nicht im Säckel halten konnte. Hätte sein Herzog Friedrich, der in Wien hofhielt, den leichtlebigen Sänger nicht immer wieder aus den Händen von Schankwirten und Wucherern befreit, so hätte der Tannhäuser trotz seines Ritterschildes wohl ein gut Teil seines Daseins im Schuldturm verbringen müssen. Der schöne Hofbesitz an der Donau, den der herzogliche Gönner ihm geschenkt hatte, zerrann dem unsteten Mann unter den Händen wie auch aller Geldvorrat, und der Tannhäuser war wieder arm wie zuvor.

Auf seinen Fahrten durch die deutschen Gaue gelangte er einst zur Wartburg, die im waldreichen Thüringen auf einer Bergeshöhe liegt. Gern erfüllte der Burgherr seine Bitte um ritterliche Herberge, denn Landgraf Hermann, der Herr der Wartburg, war den schönen Künsten wohlgesinnt. Auch er war bereit, ihm seine Leichtfertigkeit nachzusehen. Mehrfach war der Sänger bei ihm zu Gast gewesen, um im Wettkampf mit ritterlichen Sängern um den Preis zu ringen, den der Sieger aus den Händen Elisabeths, der lieblichen Nichte des Landgrafen, empfangen durfte.

Tannhäuser wußte alle Erwartungen wohl zu erfüllen, und beglückt lauschten die Bewohner der Burg seinem Gesang.

Wenn er von Minne und getreuer Liebe sang, so glaubte die schöne Elisabeth, daß er niemanden anders als sie selber preise.

Sie täuschte sich darin nicht, denn der Sänger war in Liebe zu ihr entbrannt, doch zugleich stürzte ihn diese Liebe in wilde Verzweiflung: Tannhäuser wußte, daß er, ein armer Ritter ohne eigenen Boden, ein Leichtfuß, der in Schenken heimisch war, niemals hoffen durfte, die Nichte des hochgeborenen, mächtigen Landgrafen zur Ehe zu gewinnen.

Auch zu dieser Zeit hatte der Landgraf zum Wettkampf in der Kunst des Gesanges aufrufen lassen, und aus allen Landen hatten sich die Sänger eingefunden, um den Preis zu erringen. Da waren als Gäste hochberühmte Sänger wie Herr Walther von der Vogelweide und der wackere Wolfram, Reimar Zweter und Heinrich von Ofterdingen.

Doch als die Gäste dann zum festlichen Mahl gerufen wurden, wartete man im Speisesaal vergeblich auf den Sänger. Als der Burgherr ihn holen ließ, fanden die Diener die Kammer leer. Ohne Abschiedswort an den gastfreien Hausherrn war Tannhäuser davon - auch ohne Grußwort an die jungfräuliche Elisabeth, die ihm alle Herzensneigung zugewandt hatte.

Liebeskrank und das Herz voller Unruhe, zog er durch die unendliche Einsamkeit der Wälder Thüringens.

Da hielt plötzlich ein Fremder vor ihm, ein Fahrender schien er zu sein wie er, denn auch er trug die Spielmannsfiedel auf dem Rücken.

"Holla, Gesell!'' rief der Fremde ihn an.

Wie verschieden war beider Aussehen! Tannhäuser mit lichtblondem Haar und dem Kleid in hellen Farben, der andere trug einen wallenden schwarzen Umhang, und schwarz waren auch Haar und Bart; die dunklen Augen hatten schwarzen, stechenden Glanz.

"Wohin des Wegs?" rief der Fremde. "Wenn Ihr auf die Wartburg zum Sängerfest wollt, so kann Meister Klingsor Euch wohl den Weg weisen."

Der Sänger blickte den andern ohne Freundlichkeit an. "Ich habe kein Ziel", versetzte er düster. "Der Tannhäuser heiße ich, und vielleicht ist es mir wie einst meinen Ahnen beschieden, im Tann zu hausen . . ."

"Wenn es Euch recht ist", sprach der Schwarze, "so laßt uns hier zusammen rasten. Auch ich habe kein Ziel."

Sie lagerten auf dem Waldboden, und Klingsor hörte von den Liebesqualen, die den Ritter Habenichts bedrückten. "Wenn ich im Burggarten mit ihr lustwandelte und ihr meine Lieder sang. . ."

Da riß ihn die Stimme des Schwarzen aus seinem Träumen: "Die ist nichts für Euch, Tannhäuser. Euer Herz verlangt nach feinerer Kost und derberer Sinnenlust. Die schöne Elisabeth, sagt man, ist schon zu ihren Lebzeiten eine Heilige."

Das Gesicht des Sängers verfinsterte sich, und unwillig antwortete er: ,"Ihr irrt, Klingsor, wenn Ihr glaubt, daß ich von nichts anderm zu singen weiß als von niederer Minne. Auch Elisabeth habe ich schon mit manchem Lied aus meiner Kreuzfahrerzeit erfreut. Wie traurig ist mir oft zumut, wenn ich heitere und übermütige Weisen zur Leier singen muß."

Da lachte Meister Klingsor so laut und höhnisch, daß Tannhäuser zusammenschrak.

Seite an Seite ritten sie dann weiter. Tannhäuser grübelte düster vor sich hin. Plötzlich hielt er an und packte den Begleiter am Arme. "Horch!'' sagte er tief betroffen. Über sein Gesicht, das von dem herben Leid gezeichnet gewesen war, glitt es wie ein Schein überirdischer Seligkeit. "Horch!" sagte er wieder. ,"Was sind das für wundersame Töne - was ist das für ein himmlisches Klingen und Singen?"

Der seltsame Begleiter lächelte wissend: "Der Bergwald hier vor uns ist von ganz besonderer Art. Er ist der Wohnsitz der göttlichen Venus, der Liebesgöttin, die dem Menschen alle Wonnen dieser Erde schenkt. Es ist der Hörselberg!"

Unwillig wandte Tannhäuser sich ab. Wer sollte ihm von der Liebe reden, da er doch seiner Minne zu entfliehen suchte und ihn nach nichts als nach Trost und Vergessen verlangte?

Da sah er, wie der Hörselberg sich öffnete. Aus dem Berginnern brach jäher Glanz wie Feuerschein. Im Innern der Grotte erblickte Tannhäuser nun liebliche Mädchengestalten von überirdischer Schönheit, die riefen und lockten ihn mit bezaubernden Tönen.

"Ein Wunder!" stammelte er geblendet; ihm war, als schaute er mitten hinein ins Paradies. Klingsors Worte klangen verlockend: "Vertraut Euch der Frau Venus an, Gesell, so schwindet aller Herzenskummer, himmlisches Vergessen winkt in neuer, paradiesischer Liebesseligkeit!"

Tannhäuser blickte ihn in tiefer Betroffenheit an. Sollte ihm hier die Erlösung aus seiner Herzensqual winken?

Unschlüssig starrte er zum Berg hinüber. Da gewahrte er voller Überraschung einen Mann, der ihm auf dem Waldweg entgegengeschritten kam. Der Greis mit dem wallenden weißen Bart war uralt wie die Baumriesen ringsum, doch von aufrechter Haltung, als wäre er ein blühender Jüngling. Sein Blick strahlte väterliche Milde aus. Ein Pilgersmann schien er zu sein, denn er trug Pilgerstab und Pilgertasche.

"Gott zum Gruß, Ritter Tannhäuser!" redete der Alte den Sänger freundlich an. Unwirsch erwiderte der Ritter den Gruß, denn sein Blick hing wie gebannt an dem lockenden Bild in der Grotte.

"Ritter Tannhäuser" sagte der eisgraue Alte und legte ihm die Hand auf den Arm, als wolle er ihn zurückhalten. ,"Folget nicht der lockenden Verführung!" Warnend hob er den Finger: "Verderben droht allen, die den Venusberg betreten!"

"Wer seid Ihr", fragte Tannhäuser erstaunt" ,"daß Ihr mir solche Mahnung aussprecht? Etwa ein Waldgeist?"

Der Alte lächelte nachsichtig und schüttelte den Kopf. "Den getreuen Eckart heißt man mich. Meine Lebensaufgabe ist es, irrende Menschenkinder vor den Gefahren des Hörselbergs zu bewahren. Höre meine Warnung, Tannhäuser: Betritt nicht den Berg hier vor dir, denn dort herrscht die höllische Venus! Denk an den Frieden deiner Seele und reite ungesäumt von hinnen! Wer in diesen verlockenden Berg eintritt und seine Freuden genießt, darf nimmermehr zurückkehren! Er wird die ewige Seligkeit verlieren!"

Betroffen wandte sich Tannhäuser nach Klingsor, seinem geheimnisvollen Begleiter, um. Ob dieser ihm die Warnungen des Alten deuten konnte? Aber der schwarze Spielmann, dessen Lachen so gellend geklungen hatte, war verschwunden.

Tannhäuser, der Leichtfuß, war nicht bereit, seinen Seelenfrieden zu opfern. "Dank für deinen Rat, guter Alter!" rief er und wandte sich zum Gehen.

Zufrieden blickte der getreue Eckart ihm nach.

Doch das Klingen und Singen wurde lauter. Immer lockender, berückender wurden die Töne, die aus dem Zauberberge erklangen. Ob er wollte oder nicht - Tannhäuser hielt inne und blickte in seligem Verlangen zur Höhe hinauf.

"Denk an dein Seelenheil!" rief Eckart wieder warnend, doch zu stark waren die betörenden Klänge, die den Lauschenden umschmeichelten und in liebliche Träume einwiegten.

Jetzt wurde deutlich eine Stimme vernehmbar: "So komm doch in mein paradiesisches Reich!" Vor Tannhäusers Blicken hatte sich der Berg weit geöffnet, und dort, dort ruhte auf duftigem Lager, das ganz von Rosen überquoll, Venus selber, die Liebesgöttin. Jetzt hob sie die Hand und winkte ihm zu kommen.

Da wurde der arme Sänger von dem lockenden Zauberbild übermannt, daß er Eckarts mahnenden Warnruf nicht mehr hörte. Vergessen war auch die Minne zur schönen Elisabeth. Mit unwiderstehlicher Gewalt zog es ihn in das Reich der Göttin; sie empfing ihn mit weit geöffneten Armen.

In ihrer Sehnsucht nach dem geliebten Sänger blickte Elisabeth über das weite Thüringer Land. Niemand wußte ihr von Tannhäusers Verbleib zu sagen. Doch ihr gütiger Oheim, der Landgraf, hatte längst ihre stille Seelenqual erkannt und sann auf einen Weg, ihr zu helfen: Er wollte die berühmtesten Sänger aus deutschen Landen zum Wettstreit aufrufen. Sicherlich würde solcher Ruf den so lange Vermißten erreichen, und sicherlich würde auch er auf der Wartburg erscheinen.

Ein Jahr lang hatte Tannhäuser die Freuden in Venus' Reich genossen, doch Frieden hatte er nicht gefunden. Nur Überdruß und Ekel erfüllten seine Seele. Und sein Herz entbrannte in tiefer Reue über seine schwere Schuld.

Da hielt es ihn nicht mehr in dem Zauberberge, und er bat die Göttin um Urlaub. Frau Venus wollte den Liebhaber nicht freigeben, doch schließlich ließ sie ihn ziehen. "Ich stelle dir die Bedingung", sagte sie hart, "daß du zu mir zurückkehrst, wenn du keine Erlösung von deinen Sünden findest!"

Damit versetzte sie ihn in tiefen Schlaf. Als Tannhäuser daraus erwachte, lag er auf dem Waldesgrund, wo er einst Meister Klingsor und dem getreuen Eckart begegnet war.

Der arme Tannhäuser fühlte im tiefsten Herzen die Schwere seiner Schuld. Als er das Betglöcklein einer nahen Kirche läuten hörte, wanderte er dem Klange nach. In der Waldkapelle, zu der er gelangte, warf er sich vor dem Priester auf die Knie und beichtete ihm all seine Sünden.

Als aber der Priester hörte, daß der Beichtende geradewegs aus dem Hörselberg komme, bekreuzigte er sich voll Entsetzen. "Wenn du auch von Reue zerknirscht bist", sagte der geistliche Vater, "so bin ich doch nicht in der Lage, dich von deiner Sünde loszusprechen."

Gegen Abend gelangte Tannhäuser an ein Kloster. Doch der Abt verbot ihm, die geweihte Stätte zu betreten.

Verzweifelt irrte der Verworfene in der Waldeseinsamkeit umher. Er wußte sich keinen Ausweg - und er wußte auch nichts von dem Sängerkrieg, zu dem Landgraf Hermann aufgerufen hatte aber nie hätte er, der sich als Ausgestoßener fühlte, es gewagt, sich dort im Kreise der edlen Menschen auf der Wartburg zu zeigen.

Seine unstete Wanderung führte ihn bis in die Nähe der Wartburg. Dort führte das Schicksal eine seltsame Begegnung herbei. Denn mit den ritterlichen Sängern, die dem Aufruf zum Wettstreit auf der Wartburg gefolgt waren, war der Landgraf zu fröhlicher Jagd ausgezogen. Wie staunte er mitsamt seinen Gästen, als sie pIötzlich den Sänger erblickten, den sie so sehr in ihrem Kreise vermißten - und wie betroffen und bestürzt zeigte sich Tannhäuser bei dieser Begegnung, die er so sehr hatte vermeiden wollen!

"Willkommen, edler Sänger!" grüßte ihn Landgraf Hermann, und froh grüßten ihn seine Begleiter.

Sie alle spürten nicht, was den Wiedergefundenen so schuldhaft bedrückte, und führten ihn im Triumph zur Wartburg.

"Allzulange habt Ihr gesäumt!'' rief der Landgraf dann. "Nun mag der Sängerkrieg beginnen!" In festlicher Erwartung scharten sich im Saale die Gäste um den Prunksessel, in dem er, die schöne Elisabeth an seiner Seite, thronte.

Als erster wurde Wolfram von Eschenbach, der derbfrohe Landedelmann, aufgerufen. Andachtsvolle Stille lag über dem Saal, als er seine Minnelieder von Reinheit und edler Keuschheit, aus der alles Gute in dieser Welt erwächst, vortrug. Auch Herr Walther von der Vogelweide fand warmen Beifall.

"Es singt der Herr von Tannhäuser!" klang dann die Stimme des Herolds durch den Saal. Während er dem Aufruf folgte, klangen ihm die Verdammungsworte des getreuen Eckarts in den Ohren: "Nie wirst du dein Heil finden!"

Doch als er dann über den festlich gestimmten Zuhörerkreis hinwegblickte, packte ihn unwiderstehlich die Erinnerung an jene betörenden Erlebnisse im Zauberberg der Venus. Und so schlug der Tannhäuser in die Saiten und sang von einer Liebe, die nur nach Wonnen und nach Genuß verlangt, nach triebhaftem Genuß. "Armselig nenn ich euch und eure tugendhaften Worte", so rief er in vermessener Verwegenheit den Minnesängern zu, "denn ihr habt die Liebe nie genossen! Wer sie kennenlernen will, der ziehe in den Berg der Venus!"

Wie Eiseskälte legte es sich auf die Festversammlung. Dann ging wilder Taumel durch den Saal. Edle Damen zeigten, wie tief sie in ihrer Frauenehre verletzt waren, ritterliche Herren griffen erregt zum Schwerte, um die Ungebührlichkeit zu bestrafen.

Nur mit Mühe konnte der Landgraf die zornige Aufwallung beschwichtigen. Elisabeth selber bat für Tannhäusers Leben.

In tiefer Scham blickte er auf die hochgesinnte Jungfrau, die mit solchem Edelmut für den Verwegenen eintrat. Sie riet ihm, Sühne zu suchen am Stuhle Petri in Rom.

Als Bußpilger zog er gen Süden, schleppte sich barfüßig über die tief verschneiten Pässe der Alpen, er mied die Wohnungen der Menschen und nächtigte in Felsspalten und in hohlen Bäumen.

Als ein Bild unsagbaren menschlichen Jammers trat Tannhäuser vor den Heiligen Vater. Es war im päpstlichen Garten, wo der Papst lustwandelte.

"Habt Erbarmen mit mir reuigem und verworfenem Sünder!" rief der Verfemte bebend. Ganz gebrochen berichtete er von der Verfehlung, die er im Venusberg auf sich geladen hatte.

"Wer gefehlt hat wie du, bleibt in ewiger Verdammung verworfen", sagte der Heilige Vater hart und unbeugsam. "Sieh diesen Krummstab, den ich führe: Eher grünt dieses tote Holz, als daß du deiner Sünden ledig wirst."

Mit diesen Worten stieß er seinen Stab in die Erde seines Gartens. Aller Hoffnung beraubt, taumelte Tannhäuser von dannen.

Am dritten Tage nach der Begegnung mit dem unseligen Tannhäuser wandelte der Heilige Vater durch den Garten. Da fiel sein Auge auf den im Boden steckenden Krummstab. Der tote Stecken war mit Trieben und keimenden Blättern bedeckt.

Ein Gotteswunder war hier geschehen. Der Höchste hatte in göttlicher Offenbarung dargetan, daß er dem reuigen Sünder seine Vergebung schenkte.

Vergeblich suchten die Diener des Papstes nach dem fremden Pilger.

Der unselige Tannhäuser war in seiner Verzweiflung der Heimat zugewankt. Wieder schleppte er sich über die Schneepässe der Alpen. In fieberndem Verlangen strebte er zum Hörselberge, wo ihn einst Venus in Liebe empfangen hatte.

Alles Suchen nach ihm war vergebens. Wohl hatten Bauern auf dem Felde am Fuße der Wartburg einen Pilger in härenem Gewande gesehen, der eilenden Schrittes vorüberzog. Doch von dem unglücklichen Tannhäuser erhielt man nie mehr Kunde.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dietrich von Bern

In den Zeiten, da Germanen als die Herren im Römerreich lebten, regierte in der Stadt Verona, die auch Bern genannt wurde, der mächtige Gotenkönig Dietrich. Er hatte sein Reich als Vatererbe von König Dietmar übernommen und war von Hildebrand, einem tapferen Recken, erzogen und in allen Tugenden des Kampfes wohl unterwiesen worden. Schon bei Dietrichs Geburt war geweissagt worden, daß er zu großen Taten berufen sei. Als Zeichen der Wahrheit dieses Spruches sollte Feuer aus seinem Munde sprühen, sobald er zornig wurde. Als diese Vorhersage wirklich eintraf, glaubten alle an Dietrichs künftigen Ruhm.

Mit dem alten Waffenmeister Hildebrand zog der junge Recke auf Abenteuer aus und bewährte sich im Kampfe mit Grim und Hilde, einem räuberischen Riesenpaar, das im Lande ringsum Schrecken verbreitete. Als unüberwindliche Waffe trug der junge Held seither das herrliche Schwert Nagelring, das kunstfertige Zwerge geschmiedet hatten.

Seit Dietrich den Thron seines Vaters übernommen hatte, kamen von weit her tapfere Helden nach Bern gezogen, um dem König als Gefolgsleute zu dienen; denn sein Ruhm war weit über des Landes Grenzen gedrungen. Da war der starke Heime, der sich nicht eher zum Waffendienst bereit erklärte, als bis er Dietrichs Überlegenheit im Kampfe anerkennen mußte. Auch der kühne Witege wurde Dietrichs Gefolgsmann, obwohl er sich mit seinem kostbaren Schwerte Mimung, das sein Vater, Wieland der Schmied, ihm vererbt hatte, stärker als der Berner gezeigt hatte.

Noch andere Helden kamen nach Bern, um sich mit Dietrich im Kampfe zu messen. Unter ihnen war der Riese Ecke, der Gesittung und Lebensweise der Menschen angenommen hatte und bestrebt war, Ruhm und Ehre zu erwerben. Drei königliche Jungfrauen, von denen eine ihm ihre Hand versprochen hatte, wenn er den mächtigen Berner bezwinge und ihr zuführe, hatten ihn zum Kampfe aufgestachelt.

Ecke fand seinen Gegner nicht in Bern und ruhte nicht, bis er ihn zu später Nachtstunde im Walde traf. Trotz der Dunkelheit mußte Dietrich sich zum Kampfe stellen, und so heftig folgten nun Streich auf Gegenstreich, daß das Feuer, das sie aus ihren Helmen schlugen, weithin leuchtete. Endlich gelang es dem Berner, den Riesen zu Boden zu zwingen, und da Ecke eher sterben als sich gefangen geben wollte, mußte Dietrich ihn töten.

Traurig bestattete Dietrich den tapferen Gegner, der ihn zum Streite gezwungen hatte. Er mußte bald darauf noch weitere schwere Kämpfe bestehen, mit Eckes Bruder Fasolt und dem ganzen Riesengeschlechte, das Eckes Tod rächen wollte. Dann zog er zur Burg der drei grausamen Königstöchter, um ihnen das Haupt des toten Ecke zu bringen, den sie in den Tod getrieben hatten.

Als Wohltäter der Bedrängten lebte Dietrich zu Bern, niemand bat ihn vergebens um Hilfe, und weithin verbreitete sich der Ruhm seiner Taten.

Eines Tages berichtete der alte Hildebrand von einem Zwergenvolk, das tief im Innern der Berge hause und dessen König Laurin, obwohl nur drei Spannen groß, so stark sei, daß niemand ihm widerstehen könne. "Er besitzt in Tirol einen Rosengarten mit goldener Pforte", sprach der kundige Waffenmeister, "und statt der Mauer umspannt ihn ein Seidenfaden. Wer diesen zu zerreißen wagt, den läßt Laurin furchtbare Rache spüren, denn er nimmt dem Frevler Hand und Fuß als Pfand."

Da beschloß Dietrich, sogleich mit seinen Mannen aufzubrechen, um sich mit dem Zwergenkönig Laurin im Kampfe zu messen. Sie kamen nach Tirol und fanden auch den Rosengarten, die Rosen dufteten ihnen entgegen, als sie aus dem Walde traten. Witege war der erste, der in den Garten einbrach und unbekümmert die Rosen zerstampfte. In wildem Zorn stürmte der Zwerg Laurin, mit Speer und Schwert gewaffnet, heran, und der Held hätte sich des Zwerges nicht erwehren können, wenn nicht Dietrich ihm zu Hilfe gekommen wäre.

"Schlagt mit dem Schwertknaufe drein!" riet Hildebrand seinem Herrn. Doch der Zwergenkönig zog seine Tarnkappe hervor und streifte sie über. Unsichtbar für den Gegner, ließ er nun Schlag auf Schlag auf den Berner niedersausen und bedrängte ihn hart. "Faßt ihn um den Leib und entreißt ihm den Gürtel!" rief der alte Waffenmeister in der höchsten Not, und Dietrich folgte, wie immer, seinem Rat. So gelang es ihm, den furchtbaren Gegner, dem der Gürtel die Stärke von zwölf Männern verliehen hatte, zu Boden zu zwingen.

Da bat Laurin um Gnade, die ihm auch gewährt wurde, und als er die Recken in sein Reich einlud, folgten sie ihm in das Innere des Berges. Fröhliches Leben herrschte in König Laurins Reich. Die Gäste wurden bewirtet und mit allerlei Kurzweil, mit Gesang und Tanz und ritterlichen Kampfspielen, die das Zwergenvolk zeigte, unterhalten.

Laurin aber hatte die Rache nicht vergessen, die er im stillen den Recken geschworen hatte. Mit einem betäubenden Trank senkte er sie alle in tiefen Schlaf; dann ließ er die Wehrlosen fesseln und in einen finsteren Kerker werfen.

Über solchen Verrat geriet Dietrich, als er aus dem Zauberschlaf erwachte, in unbändigen Zorn. Flammen sprühten aus seinem Munde und verbrannten die Fesseln. So ward er frei und konnte die Bande seiner Gefährten lösen. Den Kerker vermochten die Helden jedoch nicht zu öffnen. Dietrichs Waffengefährte Dietleib, dessen Schwester Künhild, König Laurin in den Berg entführt hatte, um sich mit ihr zu vermählen, lag in einer besonderen Kammer gefangen. Künhild, die nichts sehnlicher wünschte, als Laurins Reich zu verlassen, befreite den Bruder und trug ihm Waffen zu. Kurze Zeit später half dann Dietleib dem König Dietrich und seinen Mannen aus ihrer Haft heraus.

Vergeblich rüsteten sich die Zwerge zu Tausenden, sie erlagen der Kraft der Helden, König Laurin wurde gefangengenommen, und Dietrich gedachte, ihn wegen seiner Treulosigkeit zu töten. Aber Künhild, Dietleib und Hildebrand baten für ihn, so daß Dietrich ihm Gnade gewährte. Er führte den Zwergenkönig mit sich nach Bern. Später versöhnte sich Dietrich mit Laurin und ließ ihn in den Berg zurückkehren.

 

 

 

 

 

 

Die Schlacht vor Raben

Im Streite um das Vatererbe war Dietrich vor seinem Oheim Ermenrich aus dem Lande gewichen und hatte an König Etzels Hof gastfreie Aufnahme gefunden. "Ich werde dir einst helfen, dein Reich zurückzuerobern", versprach ihm der Hunnenkönig, und Dietrich dankte ihm die Gastfreundschaft, indem er Etzel auf seinen Kriegsfahrten begleitete und ihm im Kampfe tapfer zur Seite stand.

Als das Heer sich nun zum Rachezuge rüstete, um Dietrich die Herrschaft zurückzugewinnen, ließen Etzels zwei Söhne nicht ab zu bitten, man möge sie doch mitreiten lassen. Ihre Mutter wollte nicht zustimmen, denn sie hatte geträumt, ein Drache habe die beiden Jünglinge entführt und vor ihren Augen zerrissen. Da bat Dietrich, die unerfahrenen Knaben seiner Hut anzuvertrauen: "Ich werde treu auf eure beiden Söhne achtgeben", versprach Dietrich den Eltern. So gab Etzel nach, weil auch Königin Helche Dietrichs Worten vertraute, und ließ sie ziehen.

Als der heimkehrende Dietrich die Grenzen seines Landes überschritt, zeigte es sich, daß die Heimat ihn nicht vergessen hatte. Seine Königsstadt Bern öffnete ihm willig die Tore, und viele Getreue scharten sich um ihn. Man rüstete sich zum Kampfe gegen Ermenrich, der sich bei der Stadt Raben mit seinem Heere zur Entscheidung stellte.

Etzels Söhne, Ort und Scharf, dazu seinen jungen Bruder Dieter hatte Dietrich dem kühnen Elsan anvertraut. Mit seinem Leben mußte dieser dafür bürgen, sie nicht vor die Stadt ziehen zu lassen. Doch heimlich übertraten die kühnen Jünglinge das Verbot und ritten ohne Elsan davon. Ohne es zu wissen, gerieten sie auf die Straße nach Raben. Vor dieser Stadt stießen sie auf den starken Witege, der einst Dietrichs Gefolgsmann gewesen und in Ermenrichs Dienst getreten war.

"Wir müssen unsern Herrn Dietrich an dem Verräter rächen!" riefen die drei Jünglinge voller Kampfeseifer und drangen auf den Helden ein. Vergeblich mahnte Witege sie, vom Streite abzulassen, da sie ihn doch nicht bestehen könnten. Er mußte sich jedoch ihres Ungestüms erwehren und erschlug mit Mimung, seinem guten Schwerte, König Etzels beide Söhne, dann Dieter, den jungen Bruder des Berners.

Während Dieter und die Etzelsöhne mit Witege kämpften und sich ihr Schicksal vollzog, entbrannte vor der Stadt Raben eine schwere Schlacht zwischen den Mannen Dietrichs und König Ermenrichs. Lange Zeit tobte der Kampf hin und her. Dann gelang es Dietrich und seinen Recken, den Widerstand von Ermenrichs Scharen zu brechen. Der harterkämpfte Sieg hatte schwere Opfer gekostet. Viele Erschlagene und Verwundete lagen in ihrem Blute, und Dietrich befahl, die Verwundeten zu pflegen und die Toten zu bestatten.

Da sah er, wie eben Elsan auf die Walstatt geritten kam. Dietrich fragte sogleich nach den Jünglingen, die er dem Schutz des Recken anvertraut hatte. Er erfuhr, Schlimmes fürchtend, Elsan habe sie aus den Augen verloren, und bald darauf kamen Boten, die meldeten, Dieter und die Söhne Etzels lägen erschlagen auf der Heide.

"Habe ich sie dir, Elsan, nicht auf Leben und Tod übergeben?" rief Dietrich klagend aus. Dann übermannte ihn der Zorn, und er erschlug Elsan auf der Stelle. Als er die Toten fand und ihre Wunden untersuchte, erkannte er den Täter. Nur das Schwert Mimung schlug solche Wunden, und Witege war es, der dieses Schwert führte. Das Verlangen, den Tod der Jünglinge zu rächen, wurde übermächtig in ihm. Aber wo sollte er den Mörder finden?

Der treue Rüdeger von Bechelaren, dessen junger Sohn in der Rabenschlacht gefallen war, hatte Dietrich zur Todesstätte begleitet. Er war es auch, der Witege und seinen Neffen Rienold über die Heide reiten sah.

Dietrich nahm sofort die Verfolgung auf, als beide vor dem berserkerhaft wütenden Feinde flohen. Schließlich stellte sich der junge Rienold Dietrich entgegen und griff ihn mutig an. Er konnte jedoch Dietrichs rasendem Zorn nicht widerstehen und fiel nach kurzem Kampfe.

Witege, von furchtbarem Schrecken erfüllt, vergaß das Gebot der Ehre und suchte das Heil in der Flucht, auf die Schnelligkeit seines Pferdes vertrauend.

Aber der Abstand zwischen Witege und seinem Verfolger wurde immer kleiner, und da der Fliehende die Richtung auf das Meer nahm, hoffte Dietrich ihn am Strande zum Kampfe zu stellen. Schon verzweifelte Witege selbst an der Rettung, da erhob sich aus den Fluten eine Meerfrau, seine Urahne Waghild, die den letzten Sproß ihres Geschlechtes samt seinem Roß mit sich in die Tiefe zog. Vergeblich harrte Dietrich lange am Strande, in der Hoffnung, der Feind werde wieder auftauchen. Aber nichts zeigte sich über der weiten Flut, und Dietrich mußte erkennen, daß Witege seiner Rache für immer entzogen war.

Trotz des Sieges über Ermenrich blieb Dietrich bei den harten Verlusten seines Heeres nichts anderes übrig, als an Etzels Hof zurückzukehren. Durfte er aber wagen, nach dem Tode der Königssöhne, für deren Leben er sich verbürgt hatte, vor König Etzel und Königin Helche hinzutreten? In dieser Not bat er Rüdeger von Bechelaren um Beistand, und der wackere Kampfgenosse übernahm es, das hunnische Hilfsheer zurückzuführen und die Verzeihung des Königspaares zu erwirken.

Noch bevor er eintraf, erschienen die herrenlosen Rosse der beiden Königssöhne vor dem Palast. Sie hatten allein den Weg in die Heimat gefunden. Die blutigen Sättel kündeten von unheilvollem Geschehen.

Der Schmerz übermannte Etzel und Helche, als sie durch Rüdeger über das Schicksal der Söhne Gewißheit erlangten. Den Zorn des Königspaares über Dietrichs Wortbruch wußte Rüdeger jedoch zu besänftigen, indem er auf die unglückselige Fügung hinwies, die das Zusammentreffen der Jünglinge mit Witege bewirkt hatte.

Als Dietrich bald darauf vor Etzel und Helche erschien, neigte er sich bis zur Erde und bat, der König möge sein Leid an ihm rächen und ihn töten. Da Helche die Erniedrigung des Helden sah, brach sie in Tränen aus. König Etzel aber nannte ihn schuldlos und versicherte ihn seiner Huld. Lange Jahre lebte Dietrich noch an Etzels Hof, wegen seiner Tapferkeit und seines klugen Rates hoch geehrt und geachtet. Als Etzel nach Frau Helches Tod die schöne Kriemhild als Gattin heimführte und diese, voll Rachedurst gegen Sigfrids Mörder, die Burgunden ins Land lockte, um sie zu verderben, war es Dietrich, der König Gunther und den starken Hagen von Tronje im letzten Kampf überwand.

Nach dem Untergang der Burgunden war das Leben an Etzels Hofe grau und trostlos geworden. Etzels Lebensmut war gebrochen. Seine besten Mannen, unter ihnen Markgraf Rüdeger, waren im Kampfe gegen die Burgunden gefallen. Der einzige Sohn aus der Ehe mit Kriemhild hatte durch Hagens Schwert den Tod gefunden. Dietrich hielt nichts mehr im Hunnenlande zurück.

Er verließ Etzels Hof, um die Herrschaft in Bern zu übernehmen. Den alten Hildebrand, seinen getreuen Waffenmeister, schickte er voraus. An der Landesgrenze trat Hildebrand ein wehrhafter Recke entgegen; der Alte erkannte ihn nicht. Drohende Reden flogen hin und her, und bald ritten die beiden Kämpfer erbittert aufeinander los. Die Speere zersplitterten, die Schilde krachten, die Recken sprangen von den Pferden und begannen den Schwertkampf. Keiner konnte den andern überwinden, und schließlich wurden sie so müde, daß sie rasten mußten.

"Nenne mir deinen Namen und gib deine Waffen heraus!" rief Hildebrands Gegner zornig. Der Alte lachte höhnisch und verlangte von dem andern das gleiche. Da hieben beide wieder aufeinander ein, bis ihnen die Kräfte schwanden.

Schließlich schlug Hildebrand dem jungen Recken mit seinem Schwerte eine schwere Wunde, und endlich schien sich dieser besiegt zu bekennen. "Hier, nimm mein Schwert, denn du bist stärker als ich", sagte er und reichte es dem Alten. Doch als Hildebrand danach griff, schlug der Junge zu. "Diesen Schlag lehrte dich ein Weib!" schrie der Alte voller Zorn und drang auf den andern ein. Er warf ihn zu Boden und richtete das Schwert dem Liegenden auf die Brust, dann nannte er ihm seinen Namen. Nun gab auch der Unterlegene den eigenen preis: Es war Hadubrand, Hildebrands Sohn.

Da warf der Alte das Schwert von sich, schloß den Sohn voller Freude in die Arme und küßte ihn unter Tränen. Gemeinsam ritten sie zu Frau Ute. Die wunderte sich über den fremden Gast. "Ich bringe dir meinen Vater Hildebrand", sagte Hadubrand. Da umarmte Ute den Gatten, den sie über drei Jahrzehnte nicht gesehen hatte.

Nur kurze Zeit rasteten Vater und Sohn, dann ritten sie zusammen nach Bern an König Dietrichs Hof. Ermenrich, der ihm so lange die Herrschaft streitig gemacht hatte, war im Kampfe gefallen, und nun endlich konnte Dietrich sich in Rom, der Ewigen Stadt, mit der Königskrone schmücken lassen, die ihm rechtmäßig zustand. Die lange Zeit der Trennung von der Heimat hatte ihn erfahren und weise gemacht.

Viele Jahre trug der Gotenkönig in strahlendem Ruhm die Krone auf dem Haupte, und alles Volk verehrte seine Macht und seine Gerechtigkeit, seine Milde und wahre Mannestugend.

 

 

 

 

 

Gudrun

Vor Zeiten lebte in Irland der König Hagen und seine Gemahlin Hilde; sie hatten eine liebliche Tochter, die den Namen ihrer Mutter trug. Jedermann pries ihre Anmut und ihren Liebreiz, und bald drang der Ruf von Hildes Schönheit über Meer und Land, und viele edle Freier aus königlichem Blut kamen an den Hof, um sie zum Weibe zu gewinnen.

"Ich werde nur dem die Hand meiner Tochter geben", erklärte König Hagen hart, "der mich im Wettkampf besiegt." Viele Bewerber hatte er schon bezwungen und erschlagen.

Damals herrschte im Hegelingenland König Hetel, dessen Reich sich von Jütland bis zu den Niederlanden erstreckte. Sein Wunsch war es, die schönste Fürstentochter als Gemahlin an seiner Seite zu haben, und so entsandte er drei getreue Helden zur Brautwerbung: seinen Waffenmeister Wate, den gewaltigen Recken, den sangeskundigen Horand, seinen Schwestersohn aus Dänemark, und den klugen Frute, dessen Rat dem König schon so manches Mal aus der Bedrängnis geholfen hatte.

"Nicht mit Waffengewalt, nur durch List werden wir zum Ziele kommen'', mahnte Frute; "denn König Hagen pflegt die Boten derer, die seine schöne Tochter gewinnen wollen, sehr übel aufzunehmen.'' Auf seinen Rat reisten die Helden darum als fremde Kaufleute verkleidet nach Irland.

Am Strande von Baljan gingen sie an Land, baten um Gastfreundschaft, die man ihnen gewährte, und schlugen die Zelte auf, um ihre Waren feilzubieten: Waffen und Geräte, wertvolle Stoffe und kostbaren Schmuck an Spangen und Ringen.

Die Leute aus Hagens Burg strömten voll Neugierde herbei, und bald zog das Lob der köstlichen Waren und Kleinodien auch die Königin mit ihrer schönen Tochter in die Zelte der Fremden. Selbst König Hagen fand Gefallen an den Kaufleuten, die gar nicht wie gewöhnliche Krämer erschienen, und eines Tages lud er Wate und seine Gefährten an den Hof.

Im Königssaale saßen die Gäste aus dem Hegelingenlande der Königin und ihren Edelfrauen gegenüber. Mit welcher Freude schauten sie auf Hilde, die liebliche Königstochter, der ihre Reise galt; doch ließen sie nichts von ihrem Vorhaben verlauten und gebärdeten sich weiterhin, als seien sie Kaufleute. "Nicht Krämer, sondern edle Recken sind sie", flüsterte Hagen seinem Marschall zu und blickte dabei wohlgefällig auf den starken Wate mit dem breiten Bart.

Lächelnd trat Königin Hilde vor Wate hin: "Sagt ehrlich Eure Meinung", fragte sie scherzend. "Behagt Euch mehr der Umgang mit schönen Frauen, oder blickt Ihr lieber im Waffenspiel dem Gegner ins Auge?"

Der wackere Streiter ließ sich durch die Scherzfrage überrumpeln und gestand freimütig ein, jeder Gesellschaft schöner Frauen ziehe er den harten Waffenstreit vor. Da gab es fröhliches Gelächter, und als Hagen den Gast, der ein Kaufmann sein wollte, zum Wettkampf herausforderte, mußte er ihn bald voller Erstaunen und Beschämung als seinen Meister anerkennen.

Besonderes Gefallen aber fanden Frauen und Recken des Königshofes an Horand, dem Sänger, der durch seine Stimme aller Herzen gewann. Er sang so bezwingend, daß die Waldvögel in ihrem Gesang innehielten und die schöne Hilde in ihrer Kemenate voll heimlichen Entzückens seiner Stimme lauschte. Niemals hatte sie solch bezaubernden Gesang vernommen. Schließlich konnte sie den lockenden Tönen nicht Iänger widerstehen und ließ den Sänger zu sich kommen.

Dort in ihrem Frauengemach sang Horand für sie eine Weise, die er noch niemandem gesungen hatte, auf der Meerfahrt hatte er sie von einem Nix vernommen, der schöner sang als jedes Menschenwesen.

Jetzt offenbarte Horand der Königstochter die volle Wahrheit und berichtete ihr von Hetel, seinem Herrn, der nichts sehnlicher wünschte, als sie zur Frau zu gewinnen.

Die schöne Hilde schien nicht abgeneigt, ihr Jawort zu geben. "Mein Vater wird niemals darein willigen, daß ich mit Euch in die Ferne ziehe," meinte sie jedoch zögernd.

"Gerade darum haben wir ja vorgetäuscht, Kaufleute zu sein", versetzte Horand, und so lockend wußte der kluge Sänger ihr seines Herrn Werbung vorzutragen, daß Hilde schließlich einwilligte. Auch ohne die Zustimmung ihres Vaters wollte sie Horand folgen, und sie war bereit, sich von ihm und seinen Gefährten entführen zu lassen.

"Erbitte dir deines Vaters Erlaubnis, unsere Schiffe zu besichtigen", schlug er ihr vor, "dann werden wir die Anker lichten und in König Hetels Land fahren."

Die Flucht gelang. Ein günstiger Fahrtwind führte die Hegelingen zur Heimatküste, und König Hetel, dem Boten den glücklichen Ausgang der Fahrt berichtet hatten, nahte mit einem glänzenden Brautgeleite, um die schöne Hilde heimzuführen. In fröhlichem Einverständnis gelobten sich beide Liebe und Treue. Aber noch ehe es Abend wurde, kam erschreckende Botschaft: König Hagen war mit seiner kampfstarken Flotte bereits nahe der Küste, um die geraubte Tochter zurückzuholen. Denn nicht anders glaubte der Irenkönig, als daß Hilde von Seeräubern entführt worden sei.

"Rüstet euch alle zum Kampfe!" gebot Hetel seinen Mannen, und so standen die Hegelingen zur Abwehr bereit, als König Hagen mit seinen Recken an Land ging.

Ein hartes, erbittertes Ringen begann. Wild flogen die schweren Speere, und dann standen die Kämpfer, das Schwert in der Faust, einander gegenüber. Hagen drang grimmig auf König Hetel ein und traf ihn schwer, und als man den Verwundeten vom Kampfplatz führte, ging Hagen kühn den starken Wate an. Zwei ebenbürtige Gegner standen einander gegenüber, Hagen durchschlug Wates Helm und verwundete ihn schwer. Der alte Recke ließ aber nicht vom Kampfe ab und brachte den König in harte Bedrängnis.

"Trenne" wenn du mich liebst, die beiden erbitterten Kämpfer!'' bat Hilde, die alles mit angesehen hatte, König Hetel; "sie werden nicht ablassen von ihrem furchtbaren Streit, bis sie beide zugleich erschlagen zu Boden sinken.''

Da raffte Hetel, trotz seiner Verwundung, sich auf und eilte auf die Walstatt. "Laßt es genug sein der Toten, König Hagen!" rief er, "und stellt den unnützen Kampf ein, ihr Helden!" König Hagen, der Achtung hatte vor der Tapferkeit seines Gegners, folgte der Aufforderung König Hetels. Die beiden starken Streiter senkten die Waffen, und König Hetel bekannte, daß er Hagens Tochter habe entführen lassen, um sich mit ihr zu vermählen. "Als Königin der Hegelingen soll sie über Land und Meer herrschen'', gelobte König Hetel.

Da willigte Hagen ein und erklärte sich zur Versöhnung bereit. Er geleitete selber seine schöne Tochter in die neue Heimat und feierte auf Hetels Burg Matelane ihre Hochzeit mit dem König der Hegelingen, in guter Freundschaft und mit vielen Gastgeschenken schied Hagen von dannen.

In hohen Ehren lebte die schöne Hilde viele Jahre an der Seite König Hetels, der sein Reich in Gerechtigkeit und Kraft regierte und schirmte. Sie hatten zwei Kinder, Ortwin, der unter der Obhut des alten Wate zu einem edlen Recken heranwuchs, und Gudrun, die an Schönheit sogar ihre Mutter überstrahlte.

Wie einst Hagen über seine Tochter Hilde, so wachte nun König Hetel über die schöne Gudrun. Nur dem sollte sie gehören, den er ihrer würdig erachtete. Vergeblich warb Sigfrid von Morland, der über sieben Reiche gebot, um sie; vergeblich bat auch Hartmut, der Sohn König Ludwigs von der Normandie, um ihre Hand.

Gudrun selber hätte sich dem edlen Recken, der sich durch stattlichen Wuchs und ritterliches Wesen auszeichnete, vielleicht wohl anvertraut; denn er brachte ihr aufrichtige Liebe entgegen. Doch ihr Vater Hetel wies den Freier stolz und hochfahrend ab, als bedeute dessen Werbung eine Kränkung seiner Ehre; Hartmuts Vater Ludwig nämlich war ein Lehnsmann von König Hagen von Irland, und somit galt Hartmut ihm als nicht ebenbürtig.

Voller Zorn nahm der junge Normannenfürst die Abweisung hin, er fühlte sich in seiner Ehre gekränkt und sann auf Rache.

Während Hartmut unverrichteter Dinge heimkehrte, erschien König Herwig von Seeland mit einem Heere vor Hetels Burg. Die Hegelingen mußten der Übermacht der Feinde weichen, und Herwig gelang es, mit seinen Mannen in die Burg einzudringen. König Hetel stellte sich Herwig im Burghof zum Kampfe. Aber als die schöne Gudrun Herwigs Heldenkraft und den Ernst seiner Werbung sah, entbrannte ihr Herz in Liebe zu ihm, und sie bat ihren Vater, um ihretwillen Frieden zu schließen. König Hetel gewährte ihr die Bitte, weil er erkannt hatte, daß Herwig seiner Tochter würdig war.

So wurden Gudrun und Herwig miteinander verlobt. Aber ein Jahr sollte die Brautzeit währen; denn Hetel und Hilde wollten sich nicht so bald von ihrem geliebten Kinde trennen.

Doch ehe Herwig daran denken konnte, seine Braut heimzuführen, hatte er einen schweren Krieg zu bestehen. Der mächtige König Sigfrid von Morland hatte in seinem Zorn über die Abweisung am Hegelingenhofe Rache geschworen und wandte sich nun gegen Herwig von Seeland, der glücklicher gewesen war als er. Herwig war nicht zum Kampfe gerüstet und geriet in schwere Not. Nur mit Hetels Hilfe, in dessen Heer auch der junge Ortwin, dazu Wate, Frute und Horand kämpften, wurde der mißgünstige Nebenbuhler in seine Burg zurückgeworfen. Dort belagerten ihn die Heere der Hegelingen und Seeländer. "Nicht eher werde ich von hier weichen", rief König Hetel drohend, "als bis Sigfrid, der Friedensbrecher, gefangen vor mir steht!"

In dieser Zeit aber, da die wehrhaften Männer fern der Heimat waren, brach das Verhängnis über Hetels Sippe herein. Hartmut, den jungen Normannenfürsten, trieb die Rache wegen der Demütigung, die er an Hetels Hof erfahren hatte, wie auch die Liebe zu Gudrun zu schnellem Entschluß. Seine Späher meldeten ihm, daß König Hetel auf Heerfahrt sei.

Doch ehe Hartmut ins Hegelingenreich einfiel, sandte er noch einmal Brautwerber nach Matelane. "Ich bin Herwig anverlobt", erklärte die stolze Gudrun "und mit keinem anderen werde ich mich vermählen."

Da griff der junge Normannenfürst zur Gewalt, wie er es angedroht hatte, berannte mit seinen Mannen die unbewehrte Königsburg und ließ Gudrun mit mehreren ihrer Jungfrauen, zu denen auch ihre Gespielin Hildburg gehörte, ergreifen und zu den Schiffen schleppen.

Nur Königin Hilde blieb in einsamem Schmerz zurück. Sie sandte Boten mit der Trauerkunde an König Hetel, und als dieser vernahm, was sich ereignet hatte, wollte ihn der Schmerz überwältigen. Aber Herwig rief: "Wir müssen sogleich den frechen Räuber verfolgen und ihm seine Beute abjagen." Auch Wate stimmte ihm zu, und er drängte darauf, mit Sigfrid Frieden zu schließen. Der hartbedrängte König von Morland war auch dazu bereit, und als er erfuhr, daß Hartmut die schöne Gudrun geraubt habe, entschloß er sich, an der Verfolgung teilzunehmen. Ohne zu säumen, bestiegen sie die Schiffe, setzten die Segel und nahmen unter Wates Führung die Verfolgung auf.

Die Normannenkrieger dachten nicht an Gefahr und rasteten auf einer Insel, dem WüIpensande. PIötzlich entdeckten die ausgestellten Wächter Segel auf dem Meer. Die Normannen hatten kaum Zeit, sich zu rüsten, so schnell waren die Schiffe heran. Die bewaffneten Hegelingen sprangen an Land, und die Schlacht begann.

In wütendem Ringen wogte das Kampfglück hin und her. Die Wellen röteten sich vom Blute der Erschlagenen, und rot färbte sich auch das Gras der Dünen, ringsum war die Walstatt von Toten und Verwundeten bedeckt. Hetel stellte in wildem Zorn den Normannenkönig Ludwig, Hartmuts Vater, zum Zweikampf; aber nach schwerem Ringen traf ihn Ludwigs Schwert, daß er sterbend zu Boden sank. Da wurde der Zorn des alten Wate zum Grimm eines reißenden Tieres. Brüllend vor Kampfeswut stürzte er sich in die Reihen der Kämpfer, um seinen Herrn zu rächen, viele Normannen fielen unter seinen Streichen.

Als der Abend herabsank, war die Schlacht immer noch nicht entschieden. Erst die hereinbrechende Finsternis trennte die Kämpfenden. In tiefer Ermattung sanken hüben und drüben die Streiter in den Schlaf. König Ludwig wußte, daß er mit seinen Mannen auf die Dauer den Hegelingen nicht werde standhalten können. Deshalb führte er im Schutze der Nacht seine Krieger lautlos zu den Schiffen, gewann unbehindert die See und steuerte mit günstigem Wind der normannischen Heimat entgegen.

Als Wate in der Morgenfrühe das Heerhorn ertönen ließ, um den Kampf von neuem zu beginnen, war ringsum kein Feind mehr zu erblicken. Nur seine Toten bedeckten den Strand. Groß war die Enttäuschung der Hegelingen; denn sie mußten erkennen, daß sie nicht mehr die Kraft besaßen, den entwichenen Feinden zu folgen.

Da begruben die Überlebenden in tiefem Schmerz ihre Toten; auf das Grab des erschlagenen Königs Hetel wälzten sie einen gewaltigen Stein. Sechs Tage währte es, bis die Toten auf der breiten Meeresdüne bestattet waren. Auch die gefallenen Feinde begruben sie, damit die Leichen nicht den Raben zum Fraß dienten.

Dann ging die Fahrt heimwärts ins Hegelingenland. Ohne den Heerkönig, den starken Hetel, und ohne die schöne Gudrun, um deretwegen sie ausgezogen waren, mußten Wate und Herwig vor die Königin Hilde treten, fast die ganze waffenfähige Mannschaft hatte den Tod gefunden.

Laut klagte Königin Hilde, als sie diese Kunde vernahm. "Wir müssen sogleich zum Kampf gegen die räuberischen Normannen rüsten!" rief sie; doch Herwig zögerte, und Wate, der starke Kämpfer, wiegte bedächtig das Haupt: "Allzusehr sind von dem zweifachen Kriegszug unsere Kräfte erschöpft; erst wenn eine neue Waffenjugend herangewachsen ist, können wir daran denken, gegen die Normannen den Kampf zu erneuern." Auch Herwig versprach, nicht eher zu ruhen, als bis er Gudrun befreit und an Hartmut gerächt habe.

Währenddessen rauschten die Schiffe der Normannen durch das Meer nach Süden. "Seht jene Burgen, Herrin", sagte Hartmut zu der von Kummer gebeugten Gudrun, "über sie und all meine Lande sollt Ihr gebieten, wenn Ihr mich erhöret." Und auch König Ludwig redete ihr gut zu.

"Lieber will ich sterben, als meinem Verlobten die Treue brechen", erwiderte Gudrun. In jähem Zorn ergriff sie der alte König und stieß sie ins Meer. Aber Hartmut sprang ihr nach und rettete sie aus den Wellen. Drohend trat er vor seinen Vater. "Hätte ein anderer sich solchen Tuns erkühnt", rief er, "so hätte er es mit dem Leben büßen müssen!" Da faßte Reue den rauhen König, und er tat Abbitte bei Gudrun.

Als die Schiffe in den Heimathafen einliefen, standen Hartmuts Mutter, die Königin Gerlind, und seine Schwester Ortrun am Strande, um Gudrun freundlich zu empfangen. Doch diese wehrte weinend jeden Gruß ab. Trotzdem versuchte die Königin zunächst, die Entführte versöhnlich zu stimmen. Aber gegen sie wie auch gegen Hartmut und alle andern blieb Gudrun abweisend und unzugänglich; nur zu Ortrun, die ihr stets liebreich entgegenkam, fühlte sie sich hingezogen.

Hartmuts Hoffnung, daß Gudrun ihm allmählich ihre Liebe zuwenden werde, erfüllte sich nicht. Zu sehr zürnte Gudrun dem Manne, der die Schuld an ihrem Unglück trug, und sie zeigte sich unversöhnlich, obwohl sie durch Ortrun wußte, daß Hartmuts Liebe aufrichtig war.

Als Gudrun sich fernerhin weigerte, mit Hartmut Hochzeit zu halten, riet Gerlind dem Sohne, die Widerspenstige ihrer Zucht zu übergeben, so werde sich alles wohl fügen. Da willigte Hartmut ein, bat jedoch die Mutter, Gudrun in Ehren zu halten, wie es ihr zustehe. So kam Gudrun, die Königstochter, in Frau Gerlinds Zucht und mußte schwere Magddienste verrichten. Gerlind quälte sie auch durch kränkende Worte und durch Strafen und gab ihr kärgliche Nahrung.

In schweigendem Stolz nahm Gudrun alle Pein geduldig auf sich. Aber die bittere Not verscheuchte die frische Farbe ihrer Wangen. Als Hartmut von Gudruns Behandlung durch seine Mutter erfuhr, stellte er diese zur Rede, und Frau Gerlind versprach, Gudruns Los zu mildern. Trotzdem trug sie der Königstochter immer härtere Arbeiten auf.

Fortan mußte Gudrun am Strande die Wäsche waschen. Der einzige Trost für die gequälte Gudrun war, daß Hildburg, ihre Gespielin, die Not mit ihr teilte. Mitten im eisigen Winter standen die beiden Mädchen am Meeresstrande und gingen ihrer schweren Arbeit nach.

Immer wieder richtete die Königstochter den Blick über die weite See, dorthin, wo sie die ferne Heimat wußte. Hatte man sie denn dort ganz vergessen, glitt kein Segel von Norden her, kam nicht der Verlobte, sie zu suchen und ihr Rettung zu bringen?

Die Jahre gingen hin. Immer quälender und drückender wurde Gudruns Los in der Fremde, und immer mehr schwand ihre Hoffnung auf Rettung und Heimkehr. Ob Herwig, ihr Verlobter, und ihr Bruder Ortwin und ihre Mutter Hilde nicht mehr am Leben waren?

Einst standen Gudrun und Hildburg wieder bei ihrer harten Arbeit am Strande. Das Wetter war rauh und kalt; aber die grausame Gerlind hatte sich nicht gescheut, den beiden Jungfrauen sogar die Schuhe zu versagen; barfüßig, halb erstarrt vor Schmerz und Erschöpfung, so standen sie im Schnee am Meeresufer. Da sahen sie einen Seevogel in den Wellen treiben, und in ihrer Sehnsucht riefen die Jungfrauen ihn an. Der Vogel aber antwortete ihnen mit Menschenstimme: "Harret mutig aus, ihr beiden Dulderinnen; die Rettung ist nahe!" Dann hob er sich in die Luft und flog davon.

Hatte der Vogel wahr gesprochen? Gudrun und Hildburg faßten neuen Mut.

Als sie tags darauf wieder am Strande die Wäsche spülten, schraken sie auf; ein Boot, in dem zwei Männer standen, näherte sich dem Ufer. Gudrun schämte sich und wollte sich verbergen, aber Hildburg überredete sie zu bleiben.

"Wessen Wäsche wascht ihr denn?" fragten die Männer; sie schienen Mitleid zu haben mit den beiden Mädchen, die zitternd und windzerzaust so schwere Arbeit verrichten mußten. Bereitwillig gaben die Jungfrauen Auskunft; doch eine Belohnung, die man ihnen anbot, schlugen sie aus.

"Ihr seid im Normannenlande", sagte Gudrun, "und die Burg, die ihr dort seht, gehört dem König Ludwig und seinem Sohne Hartmut.''

Begierig vernahmen die Fremden, was Gudrun berichtete.

"Habt ihr etwas gehört von den Jungfrauen, die vor Jahren als Gefangene hierher verschleppt worden sind und von denen die eine Gudrun heißt?'' fragte der eine der beiden Männer.

"Ich kannte sie, denn ich gehöre selber zu den Gefangenen, die einst hierhergebracht wurden", antwortete Gudrun.

Da vernahm sie, wie der eine der beiden von seinem Gefährten Ortwin genannt wurde. "Ihr fragt nach der armen Gudrun'', sagte sie dann; "ich muß euch kundtun, daß sie schon längst ihrer Qual und Mühsal erlegen ist.''

Da wurden die Augen der beiden Helden naß. ,"Bis an mein Lebensende'', rief Herwig, "muß ich nun klagen um sie, die mir zur Ehe versprochen war!"

"Ihr wollt mich täuschen, wenn Ihr Gudrun Eure Braut nennt'', sagte die Jungfrau da. "Denn wäre Herwig am Leben, längst wäre er gekommen, mich zu befreien!"

Damit hatte Gudrun sich verraten. Nun wußten Ortwin und Herwig, daß Gudrun vor ihnen stand. Herwig zeigte ihr den Ring, den er einst aus ihrer Hand empfangen hatte, und sah an ihrer Hand den gleichen, den er ihr einst gegeben hatte.

Da umarmten und küßten sich die beiden Verlobten in unendlichem Glück. Ohne Verzug wollte Herwig die Mädchen mit sich zu den Schiffen führen. Dem widersetzte sich Ortwin: "Nicht feige wegstehlen wollen wir sie", sagte er, "sondern nach ehrlichem Kampfe werden wir Gudrun und die Mädchen befreien!" Sollen wir sie auch nur eine Stunde länger in der Knechtschaft leben lassen?" brauste Herwig auf. "Ich habe meine geliebte Braut wiedergefunden! Nun bringe ich sie in Sicherheit, und dann soll der Rachekampf beginnen, der Kampf um die Gefährtinnen Gudruns und Hildburgs!"

Aber der edle Ortwin bestand auf seiner Forderung: "Eher bleibe ich selber hier", rief er, "und lasse mich an der Schwester Seite von den normannischen Feinden niederstrecken. Nur in Ehren, Gudrun, sollst du befreit werden! Aber vertrau auf unsere Treue!" Da fügte Herwig sich dem Willen des Schwagers, das Versprechen der beiden Tapferen war für Gudrun Trost genug. Mit herzlichem Abschied gingen sie auseinander.

Freudige Hoffnung hatte Gudrun ergriffen, ihr Antlitz gewann wieder die blühende Farbe, und die Augen erhielten leuchtenden Glanz. "Wir müssen an die Arbeit gehen, sonst erwartet uns Strafe", mahnte Hildburg; aber Gudrun wollte vom Waschen nichts mehr wissen. "Bin ich etwa eine Magd, die niedrige Dienste zu leisten hat?" rief sie, und lachend warf sie die Wäsche, die für sie das Zeichen der Knechtschaft war, ins Meer. Königin Gerlind geriet in großen Zorn, als sie erfuhr, was Gudrun mit der Wäsche gemacht hatte. Sie ließ eine Rute binden und befahl, die Jungfrau zu züchtigen. Da antwortete Gudrun: "Ehe ich die Strafe erdulde, will ich zum Manne nehmen, den ich bisher nicht nahm. Bald wird das Normannenland mir, der Königin, dienen!"

Durch solche Worte ließ sich die Königin ihren Zorn besänftigen. Sie glaubte wirklich, Gudrun habe nun endlich ihren Sinn geändert und sei entschlossen, Hartmut die Hand zum Ehebunde zu reichen. Sogleich ließ Gerlind ihn rufen. Doch als Hartmut in ungläubiger Freude herbeieilte und die stolze Gudrun als seine Braut in die Arme schließen wollte, wies sie ihn zurück: "Seht, wie ich hier stehe, barfuß und im nassen Gewand, wie ich soeben vom Strande heimgekommen bin. Nicht eher sollt Ihr mich berühren, als bis ich Euch ebenbürtig bin und die Krone auf meinem Haupte trage!"

Hartmut fügte sich ihrem Willen und fragte nach ihren Wünschen. Da verlangte Gudrun königliche Gewänder für sich und angemessene Kleidung für ihre Jungfrauen. "Als Fürstin will ich morgen meinen Bräutigam empfangen!" sagte sie bedeutungsvoll .

Gerlinds Dienerinnen waren nun voller Eifer bereit, der eben noch so schmählich Mißhandelten behilflich zu sein. Nur Gerlind mißtraute Gudruns Sinneswandlung, als sie die Königstochter so fröhlich mit den Jungfrauen aus ihrer Heimat scherzen sah, und sie glaubte, ihren Sohn Hartmut warnen zu müssen. Doch seine Liebeshoffnung hatte Hartmut blind gemacht, und unbesorgt schlug er alle Mahnungen der Mutter in den Wind.

Als die Frauen aus dem Hegelingenlande dann zu später Abendzeit allein waren, offenbarte Gudrun ihnen die Wahrheit. "Habt Geduld bis morgen", sagte sie tröstend, "dann wird unser Leid endlich in Freude verwandelt werden!"

Ortwin und Herwig waren inzwischen zur Flotte der Hegelingen zurückgekehrt und hatten mit ihrem Bericht überall frohe Hoffnung erweckt. Nun mußte das kühne Wagnis gelingen! Als die Nacht herabsank, lichteten sie die Anker und steuerten bei Mondenschein zur Felsenbucht, wo die Normannenburg herüberdrohte. Glücklich gelangten die Helden ans Ufer, und voller Tatendurst rüsteten sie sich zum Kampfe. Gudrun selber, von einer ihrer Jungfrauen geweckt, sah mit heller Freude vom Fenster aus, wie die ganze Bucht von Schiffen voll war und wie die Schlachthaufen der Hegelingen sich zum Sturme bereit stellten. Die Burg war von allen Seiten umstellt. Erst jetzt ließ der normannische Wächter sein Horn erschallen, um die schlafenden Recken zum Kampfe zu rufen; doch zugleich tönte Wates Heerhorn schreckenerregend durch die Morgenfrühe.

Ein harter Kampf entbrannte. Kühn hatten die Normannen die Tore geöffnet, um den Feinden draußen vor den Burgmauern entgegenzutreten: doch bald zeigte es sich, daß sie der Kampfeswut der Hegelingen nicht gewachsen waren. König Ludwig stieß auf Herwig, aber der junge König von Seeland, dem der Gedanke an die wiedergefundene Gudrun die Kraft verdoppelte, schlug so wuchtig drein, daß König Ludwig ihm unterlag: sterbend sank er zu Boden, und Herwig schlug ihm das Haupt ab.

Hoch auf den Zinnen der Burg stand Gudrun inmitten ihrer Jungfrauen und sah dem wechselvollen Kampfe mit fliegendem Atem zu. Immer stärker wurde die Überlegenheit der vordringenden Hegelingen. Selbst den tapferen Hartmut, der überall im Vorkampfe gestanden hatte, verlangte es nach Rast. Aber als er sich mit seinen Mannen ins Tor zurückziehen wollte, versperrte der starke Wate ihm den Weg und stellte ihn zum Kampfe. Schwer fielen die Streiche der beiden gewaltigen Helden.

Da hörte Hartmut, der noch nicht wußte, daß König Ludwig gefallen war, seine Mutter laut den Tod des Gemahls beklagen. Zugleich äußerte sie das Verlangen, Gudrun tot vor sich zu sehen, und entsandte einen ihrer Knechte auf die Burgzinne. Gudrun schrie auf, als sie den Mann mit dem blanken Schwert auf sich zukommen sah, und mit diesem Notschrei aus Todesfurcht zog sie Hartmuts Blicke auf sich, der immer noch in schwerem Zweikampf mit dem grimmen Wate stand. Hartmut eilte herbei, und furchtbar drohte der Normannenfürst, sich an dem gedungenen Mörder zu rächen; da ließ dieser das Schwert sinken und entfloh.

So hatte Hartmut, obwohl selber in Todesnot, Gudrun das Leben gerettet, der immer noch seine Liebe galt.

Bedrängter wurde seine Lage, schon schien er verloren; da eilte Ortrun herbei und warf sich Gudrun zu Füßen. "Wende den Tod von meinem Bruder ab!" bat sie flehend; "mein Vater ist erschlagen und all die Meinen, nun erspare mir ein Schicksal, wie du es selber erlebt hast!''

Da hatte Gudrun Erbarmen mit der Königstochter, die stets freundlich zu ihr gewesen war, und von der Höhe herab winkte sie Herwig heran und bat ihn, die Kämpfenden zu trennen. Nur mit Mühe konnte Herwig ihre Bitte erfüllen. Zwar wurde Hartmut dem Zorne des unbezwinglichen Wate entrissen; aber gefesselt führten Herwigs Mannen ihn zu den Schiffen.

Damit war das Geschick der normannischen Königsburg entschieden. Furchtbar wütete Wate, der sich den Eingang erzwungen hatte, durch alle Gemächer. Er wollte Gericht halten mit Gerlind, die die Tochter seines Königs so grausam behandelt hatte. In ihrer Verzweiflung suchte die Königin Hilfe bei Gudrun, die schon Ortrun vor der Wut der Hegelingen beigestanden hatte. Voller Großmut gewährte die edle Gudrun auch ihrer Feindin Schutz und versteckte sie hinter sich. Aber Wate, furchtbar anzuschauen in seiner Kampfeswut, zerrte Gerlind hervor und ließ die Königin mit dem Tode büßen, was sie seiner Herrin angetan hatte.

Damit hatte der erbitterte Kampf ein Ende gefunden. In unendlichem Glück umarmte Gudrun den Verlobten und den Bruder, die ihr die Freiheit gebracht hatten.

Mit reicher Siegesbeute ging es sodann auf die Heimfahrt, Hartmut und Ortrun wurden als Gefangene mitgeführt.

Frau Hilde, die Hegelingenkönigin, hatte schon durch Boten den glückhaften Ausgang vernommen. Bald lag Gudrun in den Armen der Mutter. Nun endlich wußte sie, daß ihre lange Leidenszeit ein Ende gefunden hatte.

Die beiden normannischen Königskinder verwies Hilde zunächst streng aus ihren Augen; später jedoch fügte sie sich Gudruns Fürsprache. Ortwin nämlich hatte die schöne Ortrun liebgewonnen und warb um ihre Liebe, und auch Hartmut gegenüber ließ die Königin von ihrem Groll und gewährte ihm Verzeihung und Freiheit. Da bat der junge Normannenfürst die treue Hildburg um ihre Hand, und als bald darauf Gudrun und Herwig den Lebensbund schlossen, für den Gudrun sich neun Jahre lang bereit gehalten hatte, da sah die Hochzeitsfeier im Hegelingenlande drei glückliche Brautpaare.

Eine lange Friedenszeit folgte nach den schrecklichen Jahren der Entbehrung und des Krieges. Gudruns Schönheit erblühte von neuem, und ihre Treue, die sie so viele Jahre hindurch bewahrt hatte, wurde in allen Landen besungen..

 

uf2000

 

 

 

 




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